Schon lange liegt eine Notiz im Zettelkasten für meine Gedankenflüge, darauf steht: Wasseruhr. Er fiel mir in die Hand wenige Tage, nachdem Wasser in den Nachrichten omnipräsent war. Bei uns in der Schweiz hat ein grosser Regen viele Verwüstungen gebracht. Abgeschnittene Dörfer, Verletzte, auch Tote, überflutete Häuser, weggespülte Strassen, unterbrochene Bahnlinien. Kaum waren die Flüsse wieder einigermassen in ihrem Bachbett und die Aufräumarbeiten im Gange, versanken in Amerika ganze Städte und Dörfer in den Fluten, die über geborstene Dämme ins Land eindrangen. Und in Asien gings weiter. Ich will nicht vergleichen, das Leid der Menschen ist nicht messbar. Für jeden einzelnen, jede einzelne von ihnen ist die Verzweiflung, sind die äusseren und inneren Verletzungen immer 100%.
Doch mir gingen die Erinnerungen ans Jahr 1999 durch den Kopf, als die Thur über die Ufer trat. An der kleinen Tafel über unserem Briefkasten zeugt ein Strich, vom Vertreter des AWEL mit roter Farbe hingesprayt, noch immer vom damaligen Wasserstand. Das war bei uns aber – nun vergleiche ich doch! – ein kleines Hochwässerlein, wenn man die Bilder von andern Orten in der Schweiz oder gar von New Orleans ansieht. Etwas Wesentliches habe ich damals dennoch glasklar realisiert: Wasser ist unaufhaltsam, es steigt an, ist nicht einzudämmen oder aufzuhalten. Wasser ist unbestechlich.
Diese Eigenschaft hat die alten Völker vermutlich dazu bewogen, die Zeitmessung mittels Wasser zu erfinden. Also eine Wasseruhr. Anfänglich ganz schlicht aus zwei Wasserbehältern. Aus dem einen fliesst durch eine kleine Öffnung Wasser in den andern Behälter – Striche zeigen an, wie viel Wasser in welchen Zeitabständen geflossen ist. So ergibt sich eine einfache Zeitmessung. Etwas raffinierter sollen die Wasseruhren gewesen sein, die bei den alten Griechen benutzt wurden am Hof und bei Gericht: sie kontrollierten die Redezeit.
Vor Jahren habe ich an der Erfindermesse in Genf eine traumhaft schöne Wasseruhr gesehen. Eine Art Skulptur aus kunstvoll angeordneten kommunizierenden Glasröhren, die mit Wasser gefüllt waren. Luftblasen stiegen in ihnen auf, Wasser floss von einer in die andere, fort und fort. Am Ende tropfte im Sekundentakt Wasser in ein Becken. Die Zeit floss, die Sekunden tropften. Unaufhaltsam. Wie Wasser das tut – im guten wie im schlechten Fall.
Ursy Trösch
Übrigens: Wasseruhr heisst Klepshydra. Das kommt aus dem Griechischen: kleptein = stehlen, hydor = Wasser. Klepshydra – eine schöner Name.