Das Museum Internationales Baum-Archiv in Winterthur ist weltweit einzigartig
Ist die grösste Pflanze der Erde ein Thema? 1985, «Waldsterben», stand auf einem Kleber. «Mein Auto fährt auch ohne Wald». Es war die Ignoranzerklärung der sogenannten Wissensgesellschaft, denn Erdöl ist aus versunkenen Wäldern entstanden. Baum, Wald, Sonne, die fruchtbare Erde haben bei der Entstehung aller Kulturen die Hauptrolle gespielt. Die Menschen verehren, was sie erhält, wurden sie zu Zeichen und Symbolen, dann zu Gottheiten, von steinzeitlichen Pfahlgötter über Erdmutter-Idole, aus deren Schoss ein zweigartiger Baum spriesst, bis Fatima, wo 1917 die Maria in einer Stein-Eiche erschien.
Für uns sind Baum und Wald das Selbstverständlichste von der Welt. Wir wachsen auf mit ihnen. Was so alltäglich ist, interessiert aber bald niemanden mehr. Weshalb aber ist dann der Baum in unseren kulturellen Äusserungen allgegenwärtig? In den Religionen, in Medizin, Literatur, bildender Kunst, Brauchtum und Politik, in Wörtern und Sprachbildern, Orts- und Familiennamen, in Diagnostik und therapeutischen Methoden aller Art? Und in naiven Phantastereien der Esoterik als «Kraftort»-Erfindung und Heiltropf für alles.
Hinter den bekannten Kulissen
Baum und Wald sind das Thema des Museums Internationales Baum-Archiv (kurz MIBA) in der Winterthurer Villa Rosenberg. Es beherbergt die umfassendste fotografische Sammlung zu dieser Kulturgeschichte: historische Bäume aus 16 europäischen und aussereuropäischen Ländern, gegen einhundert historische und zeitgenössische Objekte. Dazu ein Park mit lebenden Bäumen, ihrer kulturgeschichtlichen Beschilderung und weiteren Objekten. Wer eintritt, blickt hinter die blosse Erholungskulisse von Baum und Wald. Man betritt die Weltgeschichte einfach durch eine Seitentür und stellt fest, dass wir «Baumgeborene» sind, wie viele Völker glaubten. Eine, rund gerechnet, 50’000 Jahre alte Ideengeschichte. Noch Moses’ und Abrahams Gott sprach aus Bäumen. Das Neue Testament ist Fortsetzung und Anpassung.
Neuland. Soll man sich etwas anschauen, was man nicht kennt? Kulturell-gesellschaftliche Trampelpfade verlassen? Neugierde ist eine besondere Tugend. Sie begann 1975 als fotografisch-dokumentarische Arbeit mit einfachen Fragen: Woher kommen diese Phänomene? Weihnachtsbaum, heiliger Baum, heiliger Hain, Freiheitsbaum, Gerichtsbaum, Geburtsbaum, Lebensbaum, Maibaum, Weltenbaum, Götterbaum, Schamanenbaum, Palmsonntag und Laubhüttenfest, lebendig bis heute und behängt mit Mythen, Geschichten, Legenden, – was bedeutet das alles? Das MIBA bietet, gestützt auf die jüngsten Forschungen, Antworten oder Deutungen an. Ein neues Museum und ein neues Thema. Man nennt so etwas Innovation.
Von den Dichtern zu den Kulten
Im MIBA wird geforscht und gezeigt. Mit Ausstellungen, mit Gruppenführungen, Wald- und Museumspädagogik. 17 Ausstellungen im Haus, im In- und Ausland, zahllose Vorträge und Sonderveranstaltungen, etwa 180 Schulklassen und gegen 30’000 Besucher sind die bisherige Bilanz. Noch bis März 2005 präsentiert das Museum eine Ausstellung zur Rolle von Baum und Wald in der Literatur mit spezieller Verbindung zur Holzplastik. Am 2. April 2005, 16 Uhr, wird neu eröffnet: Heilig – fruchtbar – rätselhaft; Baumverehrung und Baumkulte in der Antike, bei Kelten und Germanen, wobei auch moderne Erfindungen wie das «Keltische Baum-Alphabet» den Tatsachen gegenüber gestellt werden. Die Einführung wird der renommierte Religionsforscher Bernhard Maier halten.
Bernd Steiner
Wir freuen uns auf Ihren Besuch.
Geöffnet; Freitags von 10 bis 12 und 15 bis 18 Uhr, samstags von 11 bis 17 Uhr.
Übrige Tage: Gruppen und Schulen gemäss Anmeldung.
Internationales Baum-Archiv, Schaffhauserstrasse 52, 8410 Winterthur, 052 212 61 00