Über Sterben und Tod haben wir wohl alle nachgedacht seit dem 26. Dezember, als so viele Menschen innert ganz kurzer Zeit starben, verschwanden, von dem grossen Wasser mitgerissen wurden. Warum – das war die eine grosse Frage. Sie zu beantworten überlasse ich den Philosophen. Oder noch besser jedem und jeder selbst.
Eine andere Frage beschäftigt uns: Wie kann man Abschied nehmen von einem Menschen, wenn man nicht weiss, was genau mit ihm geschehen ist? Die Gedanken drehen sich im Kopf, man stellt sich vieles vor und kommt der Wahrheit doch keinen Schritt näher. Nicht so lange niemand einen konkreten Hinweis geben kann oder irgendetwas gefunden wird.
Was macht man, wenn es nichts mehr von dem vermissten Menschen gibt, das man bestatten könnte?
Vor wenigen Tagen habe ich ein Buch fertig gelesen, in dem ich so etwas wie eine Antwort gefunden zu haben glaube. Es ist die Jugendgeschichte des italienischen Theatermanns Dario Fo. Er erzählt vom Tod seines geliebten Grossvaters Bristin. Der war Bauer, und zwar schon damals in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts einer mit ökologischem Bewusstsein. Einer der die Natur kannte, vor allem die Zusammenhänge in der Natur, die das wichtige Gleichgewicht ausmachen. Einer der unglaublich viel wusste. Ich erwähne das, damit man das Folgende versteht. Am Grab von Opa Bristin hielt der Freund und Pfarrer eine Abschiedsrede und sagte: «Wenn ein Bauer stirbt, der das Land kennt und die Geschichte der Menschen, die es bearbeiteten, wenn ein Weiser stirbt, der den Mond und die Sonne zu lesen weiss, die Winde und der Vögel Flug, wie Bristin es konnte, stirbt nicht nur ein Mensch: Es ist eine ganze Bibliothek, die stirbt.»
Das ist wunderschön ausgedrückt. Mehr noch als der Inhalt hat mich die Stimmung des Satzes berührt. Er mutet heiter an und lässt bei aller Trauer eine lächelnde Erinnerung aufleben an den Verstorbenen. Und das ist wohl das Beste, was man machen kann beim Tod eines nahe stehenden Menschen: ein gutes, schönes Bild aus der Vergangenheit suchen, sei es im Photoalbum oder ganz einfach nur in Gedanken. An ein Ereignis zurückdenken, das einen in Heiterkeit und Fröhlichkeit verbindet mit dem verstorbenen Menschen. Das einen auch unter Tränen lächeln lässt. So kann man Abschied nehmen, glaube ich.
Ursy Trösch
Das Zitat im Text stammt aus dem Buch von Dario Fo, «Meine ersten sieben Jahre und ein paar dazu», Verlag Kiepenheuer & Witsch.