Unsere Flurnamen – Grund und Boden als existenzielle Basis

Den Thalheimern und Gütighausern waren ihre Fluren mit Äckern und Wiesen, mit Gärten und Rebland, mit Wald und Weide das Lebenswichtigste. Um sie drehte sich der Alltag zum grossen Teil. Gewiss gehörten auch die Häuser mit Stall, Scheune und Keller zur bäuerlichen Welt. Aber die Felder mit ihrem Erdreich beanspruchten das Meiste an Zeit, Energie und Gedanken. Hierin bestand ein grundsätzlicher Unterschied zur Stadt, wo die mauerumschlossene Siedlung die Hauptsache war, mit Gebäuden, Gassen, Werkstätten, Markt. Deswegen kommen den Benennungen der Fluren als Quelle für die dörfliche Geschichte eine prominente Rolle zu: sie spiegeln die einstigen Verhältnisse. So wie die Sprache als Ausdruck der Seele eines Volkes gilt, geben in einem Bauerndorf die Namen in Feld und Wald dessen Lebenswelt anschaulich wieder.

Breitrüti

Ausgangs Thalheim, rechterhand in Richtung Gütighausen. Das Gelände zwischen den beiden Dörfern war einst bewaldet, bevor es im Laufe des Mittelalters gerodet und zu Ackerland wurde. Dieser tiefgreifende Schritt steckt hinter der «-Rüti», abgeleitet von ‹reuten/roden›, ein Name, der auch anderswo im Gemeindebann auftaucht («Rüti» und «Grüt» beim Schlattwald). Nicht verwunderlich, dass der Rodungsvorgang im Namenkatalog festgehalten wird; schliesslich war der Wechsel vom Wald zur Feldflur sehr aufwändig, das Resultat offenkundig und fürs Dorf von vitaler Bedeutung. «Breit-/Breiti» bezeichnete ursprünglich die offene Lage und weite Ausdehnung, bevor es zum Quermass einer länglichen Sache eingeschränkt wurde. So bezeichnet die «Breitrüti» ein offenes Rodungsareal mit Ackerparzellen von beachtlicher Breite – nicht schmal und streifenförmig wie sonst üblich. Und für einen zweiten Ort, die «Breiti» am Dorfrand von Gütighausen, zwischen Radweg und Hauptstrasse gegen Thalheim gelegen, gilt das gleiche Merkmal: Ackerland an günstiger, offener Lage mit auffällig breiter Parzellierung.

Chirchwingerte

Flur im Hang ob Thalheim, rechts der Strasse nach Berg. Welche Fülle von Sprache steckt im Namen «Chirch–win–gerte»! Aus dem griechischen ‹kirike›, dem lateinischen ‹vinum› und dem deutschen ‹Garten› (= eingezäuntes Areal) wurde da eine aussagestarke Benennung zusammengefügt. Mit Elementen, die gleich drei Wurzeln unserer Kultur aufzeigen: die hellenistisch-griechische der christlichen Kirche/ die römische mit der veredelten Weinrebe/ die germanisch-alemannische des Volkstums (Garten). Dieser «Chirchwingerte» zählte zum ausgedehnten Rebland in unsrer Gemeinde. 1799 waren das in Thalheim und Gütighausen ganze 58 Jucharten (etwa 17 Hektaren); noch 1920 ist auf der Landkarte im «Chirchwingerte» eine Fläche von 250 × 80 Meter als mit Reben bestockt eingezeichnet. Der Name bringt zum Ausdruck, dass sich da eine Parzelle befand, wovon ein jährlicher Zins der Kirche zukam, für den Gottesdienst, aber auch für die Aufgaben in Armenfürsorge und Schule.

Boll

Geländekuppe westlich von Gütighausen, fortgesetzt in der Egg. «Boll» bringt eine auffällige Form des Reliefs zum sprachlichen Ausdruck. Das Wasser zweier Bächlein bildete im halbrunden Kurvenlauf eine Mulde im Thurhang, und in der Biegung findet sich die sanft modellierte Erhebung im Gelände, «Boll» genannt. Die beiden Wässerchen – eines kam vom Weiher her, das andere rann ungefähr bei der heutigen Hauptstrasse – trieben einst die Mühle und die Säge; heute sind sie eingedohlt. «Boll» für eine rundliche, kuppenförmige kleinere Anhöhe trifft man auch an anderen Orten, so in Andelfingen, Töss, Berg am Irchel. Die Mundart kennt ‹Bolle› für runde Steine, für Spielbälle, Pferdeäpfel, Knospen an Obstbäumen, ‹Boll-auge› für kugelige Augen; vermutlich geht auch ‹Bölle› (Zwiebel) auf die selbe Wortwurzel zurück.

Hagewis

An der Gemeindegrenze gegen Altikon, am Huebbach, gegen den Wald zu. «Hage» (mit kurzem -a-) war bis ins 19. Jahhundert der übliche Begriff für den Zuchtstier. (In meiner Bubenzeit gab es noch den berüchtigten ‹Hage-schwanz›, eine aus den Hoden des Stiers gefertigte Stockrute für schmerzhafte Schläge, sogar in der Schule gebraucht.) Die «Hage-wis» war ein Stück wertvolles Wiesland, das sogar bewässert werden konnte. Es stand dem Halter des ‹Gmeindsmunis› zur Verfügung, damit er dort Heu und Emd für die Winterfütterung seines Viehs mähen konnte – und zwar jedes Jahr, anders als bei einem Acker, der jede dritte Saison brach lag. Das Areal, ursprünglich Wald, hatte sich die Gemeinde bei der Rodung für kommunale Aufgaben gesichert und brauchte es nun, um in sehr direkter Form eine Sonderleistung zu entgelten. Und diesem speziellen Sinn und Zweck vedankt die «Hagewis» ihren alles erklärenden Namen.

Schleipfi

Wo das Bahntrassee ins Thurtal einbiegt, heisst es «Schleipfi». Der dortige Flurname ist aber wesentlich älter als die Eisenbahn, bei deren Bau (1874) vom »Schleipfi-Durchstich», dem «Schleipfi-Rank» und den «Schleipfi-Reben» zu hören ist. Und die Thalheimer hätten die Station gerne näher ob ihrem Dorf gehabt, ausgangs «Schleipfi». Mit diesem Ansinnen reiste eine Delegation sogar nach Bern zum Bundesrat, der ihrem Wunsch aber nicht entsprach, sondern für die heutige Situation entschied. «Schleipfi» meint eine Lokalität mit rutschigem Boden, ein Terrain, wo man bei Nässe, Schnee und Eis schnell ‹schlipfte›. Hier die Örtlichkeit, wo an abschüssiger Stelle für Fuhrwerke die Steilstrecke beginnt, eine heikle Passage, wenn sie bergab gegen das Dorf zirkelten. Da galt es – gewarnt durch den deutlichen Namen – beizeiten den Radschuh zu setzen, die Bremse zu spannen und die Zugtiere an die zügelnde Hand zu nehmen. «Schleipfi» gehört ins Mundart-Wortfeld von ‹Gschleipf-schleike-schlipfe-schliife›, was mit gleiten und rutschen und schleppen zu tun hat.

Text: Reinhard Nägeli, Bilder: Redaktionsteam

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