Die dörfliche Welt der Thalheimer und Gütighauser ist durch eine Fülle von Namen in sprachlicher Form geprägt, mit Namen für kleinere und grössere Fluren und Felder. Seien es Auffälligkeiten des Reliefs, seien es naturgegebene oder von Menschen gestaltete Landschaftselemente, seien es frühere Bewirtschaftungsformen, Besitzer oder Verhältnisse: die meisten Flurnamen geben Aufschluss vom einstigen Leben, Schaffen, Wirken, Denken in den Bauerndörfern. Einige Beispiele sollen einen Eindruck von der Reichhaltigkeit solcher Benennungen und der erstaunlichen Breite dieser Namensschöpfungen geben. Derartiges Wissen vertieft den Blick auf unsere nähere Umgebung und ist eine gute Voraussetzung zum Verständnis für das gemeinsame Erbe, welches unsere beiden Dörfer mit ihren vielfältigen Fluren ausmacht.
Grosse Stei: Felder beim Schulhaus und der Turnhalle. Hier wird ein markanter Findling gelegen und seiner Umgebung zum Namen verholfen haben. Dauerhafte Zeugen der gletschrigen Eiszeit fanden sich in unsrer Gegend recht häufig. Kleinere wurden beim Roden und der Anlage von Äckern beiseite geschafft, beim Pflügen zusammengelesen, gerne auch beim Hausbau verwendet, vor allem für die Mauern auf der Wetterseite.
Hier aber fand sich ein Ausnahmeexemplar, «de Gross Stei», der wegen seiner Grösse und entsprechenden Schwere die längste Zeit umfahren wurde. Gerne wüssten wir Genaueres von diesem Erratiker. Welche Form hatte er? Farbe? Wie tönte es, wenn man mit dem Hammer auf ihn schlug? Rankten sogar sagenhafte Geschichten um den Koloss? Wie wurde er beseitigt? Mit Meissel und Hammer? Schwarzpülverig? Und stecken seine Fragmente in Thalheimer Häusern? Lauter offene Fragen. Immerhin ist dank dem Namen von diesem «Grosse Stei» die Tatsache seiner Existenz als Zeugnis erhalten geblieben.
Weier: Untiefes Gewässer im Wald, an der alten Andelfingerstrasse, die einst von Gütighausen her beim Bahnwärterhaus im Ebnet die Geleise querte und durchs «Weier-Hölzli» führte. Der Waldweiher in der Moränenmulde diente als Wasserreservoir für die Mühle in Gütighausen, wurde deshalb erweitert, ausgebaut und unterhalten. Auf der präzisen Wild-Karte ist er noch mit 175×100m eingezeichnet (1861); in letzter Zeit verlandet er zusehends.
Das Wort «Weier» (schriftdeutsch Weiher) kennt eine reiche Sprachgeschichte; es geht zurück aufs lateinische Vivarium, das Gehege für lebende Tiere, dann Fischteich. Daraus wurde das althochdeutsche Lehnwort ‹wîwâri›, danach mittelhochdeutsch ‹wîher› und schliesslich neuhochdeutsch Weiher; später wurde der Begriff vom Fischteich wieder ausgedehnt und meint nun allgemein ein stehendes Gewässer, untief, künstlich angelegt, wie eben unser «Gütighuser Weier».
Bilg: Dorfrand von Gütighausen gegen Thalheim, linkerhand. In dieser dorfnahen Flur befand sich ein Rebareal, mit zahlreichen Kleinparzellen und viel menschlicher Müh’ und Sorg’, Kummer und Freude. Der Name, eigentlich «Bild», wurde da und dort zu «Bilg» abgeändert (ein Beispiel für die Tendenz, leichter zu sprechende Formen zu brauchen). Da war am Strassenrand ein «Bilg», ein Bildstock aufgerichtet. Seit dem 14. Jahrhundert, im Mittelalter, waren solche recht beliebt. Sie standen an landschaftlich schönen Stellen, wo man anhielt und eine Pause machte, auch an Orten mit besonderem Erinnerungsgehalt nach einer überstandenen Gefahr.
Beim Gütighauser «Bilg» wird es darum gegangen sein, nach der heiklen Passage der Thur mit dem Floss und dem steilen Anstieg aufzuschnaufen, zurückzublicken, dankend zu beten. Sinnvoll wäre da ein Bild des Hl. Christophorus gewesen, des Patrons der Reisenden – aber von solchen Details wissen wir nichts, auch nicht, wie nach der Reformation das «Bilg» verschwand. Immerhin: den Flurnamen liess man pietätsvoll weiterleben.
Hueb: Gefilde gegen die Thur, ausserhalb des Friedhofs; der «Hueb-Bach» fliesst von den «Hueb-Äckern» her und am «Hueb-Holz» vorbei. Hueb nannte man seit dem Mittelalter ein stattliches, zinspflichtiges Bauerngut, um die 50 Juchart (damals rund 15 Hektar). Hier handelte es sich um die Hueb, die St. Kathrinenthal bei Diessenhofen Grundzins zu entrichten hatte; in Thalheim redete man darum auch vom Klosterhof, der im Unterdorf an der Landstrasse, beim alten Flurweg hinaus zur Thur stand (1667 erwarb Jakob Epprecht von Nürensdorf die «Huob, geheissen Klosterhof», und zog mit seiner Familie ins Dorf). Bemerkenswert war, dass die Felder der «Hueb» gegen den Wald zu nicht zur Unterzelg zählten, wo die Gemeinde den Flurzwang übte und den Rahmen bestimmte; sondern da durfte der Inhaber weitgehend selber entscheiden und anbauen, was die besondere Bezeichnung «Hueb» für diese speziellen Güter bestens erklärt.
Leberen: Flur ausgangs Thalheim, links unterhalb der Strasse Richtung Altikon. Diese Felder bergen eine reichhaltige Vergangenheit, die sich im Namen offenbart. «Leberen» (Leeberen mit langem -ee- wäre deutlicher) geht zurück auf althochdeutsch ‹hlêo› (= Grabhügel), in der meistens gebrauchten Mehrzahlform/Wemfall ‹hlêwiron› (bei den …, zu den Grabhügeln).
Die Alemannen, die um etwa 600 Torilinchovun gründeten, das spätere Torlikon/Thalheim, und deren Nachfahren begruben ihre Toten hier, am östlichen Rand ihrer Siedlung. Erst mit der Christianisierung im Laufe des Mittelalters wurde der Begräbnisplatz verlegt, zur Kapelle im Dorf (und in jüngerer Geschichte zum Friedhof auf der anderen Dorfseite). In der Sprache hatte sich das alemannisch/althochdeutsche ‹hlêwiron› um 1500 zum ‹leeweren› der Dorliker und schliesslich zu «Leberen» der Thalheimer gewandelt, der nun mit Obstbäumen bestandenen Flur, wo sich einstmals die namengebenden Grabhügel der Ahnen befunden hatten.
Reinhard Nägeli