Die heutigen jungen Leute nehmen vieles lockerer als unsereins damals. Sie sind freier. Sie haben mehr Taschengeld. Sie dürfen öfters in den Ausgang. Sie haben ein Töffli und müssen nicht mehr mit mühsamer Beinarbeit das Velo vorwärts trampen. Und noch manches mehr.
Was immer noch gilt: Die Musik der Jungen war damals und ist heute zu laut und zu schrill – auch wenn es längst nicht dieselbe Musik ist. Unsere Lieblingsmelodien sind heute Oldies wie wir selbst. Und über die sogenannte heutige Jugend wurde damals und wird heute gelästert. Manchmal zu Recht, oft aber zu Unrecht.
Es gibt aber etwas, worum uns die heutigen Jungen nur beneiden können: die freie Berufswahl. Theoretisch und juristisch gibt es sie auch jetzt, praktisch aber nicht. Wir konnten uns in unserer Jugend in aller Freiheit überlegen, welchen Beruf wir gerne ausüben möchten, welche Arbeit uns interessiert, wofür wir uns talentiert fühlen. Die ganze Arbeitswelt stand uns offen. Die Wirtschaft warb um uns, denn es mangelte an Arbeitskräften.
Heute gibt es in der Schweiz fast 10’000 Jugendliche, die keine Lehrstelle haben. Unter den Burschen und Mädchen, die aus der Schule kommen, zählt man fünf Prozent Arbeitslose. Die Jungen können nicht frei wählen, was sie tun möchten. Sie müssen nach Möglichkeiten und Chancen Ausschau halten. Und sie müssen ziemlich sicher einen andern als ihren Lieblingsberuf ergreifen. Wenn sie überhaupt etwas finden.
Das ist eine schwierige Situation. Diese jungen Menschen stehen am Anfang ihres Erwachsenenlebens und werden gleich ausgegrenzt. Sie möchten etwas tun – und sie können nicht.
Vor ein paar Tagen habe ich ein junges Mädchen am Briefkasten beobachtet. Sie schob ein Bündel Briefe – alle gleiches C5-Format und alle gleich dick – in den Schlitz des gelben Kastens, nachdenklich und mit einer fast beschwörenden Bewegung. Ich habe mir gedacht, dass das wohl kaum Liebesbriefe waren, viel eher (einmal mehr) Bewerbungen, mit denen die junge Frau viel Hoffnungen verbindet. Ich habe ihr im Stillen viel Glück gewünscht.
Ursy Trösch