Wenn ich in meinem Gedankenflug irgendetwas sagen will zu Weihnachten oder zum Jahresende, dann muss ich das im November tun. Das ist die letzte Gelegenheit – die nächste «Dorfposcht» kommt erst im neuen Jahr. Und so geht es mir denn wie den vielen Läden, die bereits im November Weihnachtsdekoration haben und «Stille Nacht» spielen. Nein, ich werde jetzt nicht einstimmen ins allgemeine Geklöne über die immer früheren «Grättimanne» (das sind im Kanton Zürich «Grittibänze») und über die Osterhasen knapp nach Neujahr. Das lässt mich ziemlich kalt. Man muss das Zeug ja nicht so früh schon kaufen. Man kann es schlicht übersehen und sich dann in die Vorfestfreude fallen lassen, wenn es für einen ganz persönlich stimmt.
Trotzdem möchte ich jetzt schon zum Jahresende etwas erzählen.
In Ecuador werden im Dezember kleine und grosse Figuren aus Papier maché auf den Märkten zum Kauf angeboten. Männer, Frauen, auch Fantasiefiguren. Die Menschen kaufen sich eine solche Figur, setzen sie vors Haus – und am Silvesterabend zertreten sie die Puppe und verbrennen sie schliesslich. Vermutlich lassen sie auf diese Weise die Dinge des zu Ende gehenden Jahres hinter sich. Woher ich das weiss? Meine Kollegin Susanne war über den letzten Jahreswechsel unterwegs in Ecuador und hat mir nach ihrer Rückkehr von den «Silvester-Puppen» erzählt und mir auch Fotos geschickt.
Meine Gedanken sind dann im Januar tagelang um diesen Brauch gekreist. Ich habe mir überlegt, was ich für eine Figur basteln würde – bei uns kann man sie ja nicht auf Märkten kaufen. Vielleicht hätte ich mit meinen zwei linken Bastelhänden für so etwas sogar genug Power. Einen grossen Ärger oder Frust könnte ich figürlich darstellen, vielleicht als Ungeheuer oder als bösen Magier. Oder ich könnte so weit gehen und einen Menschen, der mir im vergangenen Jahr besonders viel Ungemach bereitet hat, als Puppe nachbilden. Das wäre vielleicht arg fies von mir, denn ich würde sie ja dann zertreten und verbrennen in der Silvesternacht.
Andersherum könnte ich auch eine grosse Freude der letzten zwölf Monate ausdrücken, etwa als schönen Mond oder als Blume oder als gute Fee. Doch diese würde ich bestimmt nicht zertreten, sondern nur verbrennen als Zeichen des Abschieds – und in der Hoffnung, dass mir der Geist meiner schönen Figur auch im neuen Jahr beisteht.
Ursy Trösch