«Wir sind Thalheim»: Rägi Schubiger

Rägi Schubiger habe ich im Vorbeifahren mit dem Velo schon oft gesehen, wenn sie ihre Kinder auf den Schulweg verabschiedet. An einem Dienstag im Januar mit windigem Wetter, Aufhellungen und Regenschauern, darf ich sie bei sich zu Hause für ein Gespräch über ihr Leben in Thalheim an der Thur treffen. Sie bittet mich in die gemütliche Wohnküche an einen schönen Beizentisch.

Rägi lebt mit ihrem Mann Florian und den Kindern Aline (7) und Joel (5) seit 2018 in Thalheim an der Thur. Aufgewachsen ist sie im nahen Welsikon, hat vor ihrem Umzug nach Thalheim zuletzt aber in Winterthur an der Neustadtgasse mitten in der Altstadt gewohnt und als Pflegefachfrau im Alterszentrum Brühlgut gearbeitet. Dass die junge Familie Schubiger Thalheim als Domizil wählte, hat mehrere Gründe. Wichtig beim Entscheid war der ÖV-Anschluss. Speziell für Thalheim haben aber vor allem die Nähe zur Natur und die Überschaubarkeit unseres Dorfes gesprochen. Thalheim ist – etwa im Gegensatz zu Seuzach – klein genug, dass man sich kennt und sich ein Austausch ergibt, aber umgekehrt auch nicht in sich geschlossen. Bei Bedarf unterstützt man sich gegenseitig. Es gibt in Thalheim, so findet Rägi, einen guten Mix zwischen Alteingesessenen und Neuzugezogenen.

Wenn ich Rägi nach einem Sehnsuchtsort jenseits von Thalheim frage, gibt sie zwar zu, dass ihr das Reisen und Unterwegssein, das Kennenlernen ferner Völker und anderer Lebensweisen wichtig gewesen seien und sie immer noch interessieren würden. Ebenso wichtig sei ihr aber auch immer das Heimkommen gewesen – sei es nach einer Weitwanderung quer durch die Schweiz von St. Gallen bis an den Genfersee, oder nach Weltreisen, die sie schliesslich bis nach Neuseeland geführt hätten. Einen anderen Ort als Thalheim, wo sie dauerhaft lieber sein würde, gibt es deshalb nicht.

Die Familie Schubiger hat die Rollenteilung bei der Erwerbs- und Familienarbeit bewusst gewählt: Gegenwärtig ist Rägi als Hausfrau und Mutter berufstätig. Das bedeutet Köchin, Bäckerin, Pädagogin, Hauswirtschafterin, Gärtnerin und Managerin in einem zu sein. Die Vielfalt der Aufgaben zu Hause ist gross, manchmal fehlt aber bei dem steten Zu-Hause-Sein ein bisschen der soziale Austausch über die Kinder hinaus. Klar auch, dass beim Jobprofil der Familienfrau der Begriff «Freizeit» nur in Anführungszeichen gebraucht werden kann, da die Zeit immer prall ausgefüllt ist. Das Gärtnern kommt dem Gefühl von Freizeit oder Entspannung jedoch am nächsten, auch wenn ein Garten natürlich auch wieder viele Pflichten mit sich bringt, wenn man sich ernsthaft um ihn sorgt. Unter dem Stichwort «Freizeit» nennt Rägi auch ihre Weiterbildungen in den Bereichen Pflanzenheilkunde und Ernährung. Schon oft habe ich beim Vorbeifahren durchs Küchenfenster die vielen Gläser mit getrockneten Kräutern im Gestell stehen sehen …

Rägi engagiert sich überdies im Dorfverein, wo sie für das Material zuständig ist. Ziel des Dorfvereins ist es, Anlässe zu organisieren, an denen gemeinsam etwas gemacht und erlebt werden kann. Das Angebot richtet sich schwergewichtig, aber nicht nur an Familien. Im Turnverein leitet Rägi zudem einmal pro Woche das Kinderturnen (KiTu) in der Turnhalle des Schulhauses Thalheim/Gütighausen.

Überhaupt sind Rägi und ihrem Mann das soziale Leben und die Geselligkeit wichtig! Denn wenn man Rägi fragt, was sie im Leben mit Freude erfülle und wo sie Kraft tanke, nennt sie grössere Einladungen und spezielle Anlässe, die sie als Familie privat organisieren: Weindegustationen mit Essen etwa, ein Pétanque-Turnier im Garten oder gemeinsame Ferien mit anderen Familien. Die stark ausgeprägte soziale Ader komme vielleicht daher, dass sowohl sie als auch ihr Mann aus grösseren Familien stammen.

Wenn Rägi etwas braucht, was es in Thalheim nicht zu kaufen gibt, fährt sie am ehesten, aber vielleicht eher aus Gewohnheit, nach Winterthur. Fast ebenso häufig geht sie nämlich auch nach Andelfingen, wo es keine Warteschlangen gibt, oder nach Frauenfeld – zum Beispiel ins dortige Brockenhaus. Trotz dieser gelegentlichen Ausflüge in die Stadt und obwohl die Stadt ihr in jungen Jahren mehr Möglichkeiten und vielseitige Begegnungen geboten hat, möchte Rägi eher nicht mehr in der Stadt leben: Der Verlust der Nähe zur Natur bedeutete ihr eine zu grosse Einbusse an Lebensqualität. Stadt- und Landmenschen sieht Rägi durch eine gegenläufige Bewegung miteinander verbunden: Während erstere am Wochenende zur Regenerierung aufs Land pilgern, pendeln zweitere unter der Woche zur Arbeit in die Stadt.

Im Mittelland in einem Dorf zu leben, ist das eine. Könnte sich Rägi auch ein Leben in einem alpinen Bergdorf vorstellen? Wenn sie als Familie denkt, eher nicht. Ansonsten stellt sie sich vor, dass es dort als Neuzuzügerin unter einer Mehrheit von Einheimischen weniger einfach wäre, seinen Platz zu finden; ein wenig mehr «Urchigkeit» würde sie aber durchaus in Angriff nehmen.

Womit wir bei den Ferien sind: Als Familie findet Rägi Reka-Ferien sehr attraktiv, zum Beispiel in Wildhaus. Reka-Ferien bieten auch Eltern einmal richtig freie Zeit und für die Kinder ist es ebenso toll. Skifahren tun die Schubigers am liebsten in Disentis. Und in den hiesigen «Heuferien» im Frühsommer gönnt sich die Familie jeweils den Luxus von Badeferien am Meer – wenn auch zunehmend weniger unbeschwert wegen des Fliegens mit all seinen negativen ökologischen Konsequenzen.

Kulinarisch ist Rägi dem Süssen nicht abgeneigt, grundsätzlich aber eine Allesesserin. Die Ernährung ist für sie ein wichtiges Thema. Es kommen selten Fleisch und wenig Milchprodukte auf den Tisch, Tee wird aus eigenen Kräutern gewonnen. Neulich hat sie zum ersten Mal selber Sauerkraut gemacht. Bei Besuch trinkt sie auch gerne Wein. Ein eigentliches Lieblingsessen ist ihr nicht zu entlocken, aber generell orientiert sie sich an der italienischen Küche. Abgesehen davon ist Rägi aber in der hiesigen Region verankert. Aus Welsikon stammend gefällt ihr an unserer Landschaft, dass sie durch den Fluss Thur einen ganz eigenen Charakter bekommt.

Gegen Ende unseres Gesprächs habe ich Rägi die Frage gestellt, wie lange Thalheim wohl noch eine eigenständige Gemeinde bleibe bzw. bleiben könne. Auf eine Jahreszahl will sich Rägi nicht festlegen. Bei der Abstimmung über die Gemeindefusionierung im November 2020 hat sie Nein gestimmt, weil es für sie matchentscheidend ist, dass Thalheim weiterhin eine eigene Schule hat. Längerfristig denkt sie aber, dass eine Reformierung der Verwaltungsstruktur unumgänglich sein wird: Der Komplexität der Aufgaben wird ein ehrenamtliches Laiengremium je länger je weniger gewachsen sein.

Inzwischen zeigt sich ein Regenbogen über dem Thurtal und ich frage Rägi, was ihr Sorge bereite, wenn sie an die Zukunft denke. Ihre Antwort fällt zugleich bescheiden und philosophisch aus: «Sorge» sei ja nicht nur negativ besetzt und in einem positiven Sinne gelte ihre «Sorge» zurzeit vor allem ihrer Familie und dem näheren Umfeld. Dieses würde sie in einer schwierigen Situation auch gerne mit Tatkraft unterstützen. In diesem «kleinen» Radius könne sie Wirkung entfalten, während ihr Einfluss im grösseren Rahmen klein sei. Trotzdem fügt sie zum Schluss noch hinzu, dass im grösseren Massstab gedacht sich der Mensch als Spezies ihrer Ansicht nach wie ein Parasit verhalte und zu viel Raum auf unserem Planeten einnehme.

Ich danke Rägi für das offene und interessante Gespräch und freue mich auf die nächste Begegnung!

Ulli Schelling

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