Leben und Geschichte eines Dorfes wurden und werden von den räumlichen und andern Gegebenheiten massgeblich mitgestaltet. Das Relief und die Böden, Pflanzendecke, Wasserverhältnisse, Nachbarschaften, Verbindungswege, auch die politischen Umstände gaben die längste Zeit den wesentlichen Rahmen ab. Sie kommen in den Benennungen vor und vermögen so die eigentliche Geschichte abzubilden. Diese ist ja alles andere als eine Kette von Ereignissen, sondern vielmehr eine Folge von den wiederkehrenden Abläufen, von herkömmlichen Traditionen, von selbstverständlich gewordenen Gepflogenheiten. Deshalb geben die Namen mancherlei Aufschluss über frühere Zustände. Sie sind ein Gedächtnisspeicher des Dorfes, gut konservierte Andenken ans einstige «Gespräch zwischen dem Menschen und seinem Boden».
Ischlag: Flur auf der Höhe linkerhand des Rad- und Schulwegs Gütighausen-Thalheim. In den Jahrhunderten der Zelgenordnung war für die Felder festgehalten, in welchem Rahmen sie bepflanzt und bestellt wurden (Flurzwang). Hier, im «Ischlag», gab es aber eine Parzelle, für die eine Sonderregelung galt; von dieser ist im ältesten Dokument des Thalheimer Gemeindearchivs die Rede (Urteil des Vogteigerichts, 1549). Einige Bauern hatten nämlich begonnen, ihre Wiesen einzuschlagen, mit einem Hag einzufrieden, und diese für den zweiten Schnitt im Spätsommer, das Emd, dem allgemeinen Gebrauch zu entziehen. Ein solcher «Ischlag» konnte nach dem Heuet nicht mehr von der Dorfherde beweidet werden – wie sonst üblich –, sondern wurde privat genutzt, nach eigenem Gutdünken bewirtschaftet, auf Kosten der dörflichen Gemeinschaft. (Das erwähnte Urteil stoppte weitere Privatisierungen und regelte die Weidgangsfrage grundsätzlich.)
Winkel: Thalheimer Dorfteil südöstlich der Kirche. Die von der Strasse abgesetzte Partie atmet ein Stück weit den Charakter eines dörflich-beschaulichen Zentrums ohne die Präsenz von Tempo und Verkehr. Als «Winkel» bezeichnete man Örtlichkeiten, die etwas abseits lagen, eher verborgen oder schwerer zugänglich. Da die Dorfsiedlung mit einem Etter (markanter, dichter Hag) klar und fest umschlossen war und nur wenige Ausgänge kannte, gab es intern etliche Sackgassen, die nicht ins Feld führten, eben solche «Winkel». Das 19. Jahrhundert brachte mit dem Ende des Zelgensystems die Öffnung und viele direkte Ausgänge in die Felder; insofern spiegelt der Name «Winkel» etwas von der einstmals strikten ‹Raumplanung› und Siedlungsstruktur.
Charhalde: Waldrevier rechts der Strasse nach Berg. Der nur selten auftretende Name dürfte sich herleiten vom mittelhochdeutschen ‹Gchar› (Dreck, Geschmier, Trampelspuren der Viehherde zur Weide). Als dieses Wort nicht mehr gebraucht und verstanden wurde, schob man hinüber zum lautlich so nahe liegenden «Char» und nannte die bewaldete Hanglehne fortan «Char-Halde». Dass das Strässchen hie und da auch von Karrenspuren gezeichnet war, machte die Bezeichnung sowieso plausibel.
Stig: Gelände rechts der Strasse von Gütighausen nach Niederwil bzw. Berg, vor der Bahnunterführung. Unter einem «Stiig» verstand man ursprünglich einen Fusspfad, der eine bemerkenswerte Höhe überwand. Im deutlichen Unterschied dazu wurde eine gute Fahrstrasse als eine ‹Steig› bezeichnet, beispielsweise an der Route von Winterhur-Töss hinauf nach Brütten. Die Bezeichnung «Stiig» (der) muss also sehr alt sein, aus einer Zeit stammen, bevor die Verbindung von Gütighausen mit seiner Fähre in Richtung Winterthur eine gewisse Bedeutung erlangte und für Fahrzeuge ausgebaut, auch zunehmend befahren wurde und wird; darum also korrekt «de Stiig» und nicht die Steig.
Widum: Mittleres Waldrevier im ausgedehnten Schlattwald. Ein Name, der als Sprachdenkmal Einsicht in mittelalterliche Verhältnisse gibt. Grundstücke mit jährlichem Ertrag boten gute Gewähr, eine Aufgabe langfristig sicherzustellen (so wie der Chirchwingerte für den kirchlichen Betrieb). Das «Widum» war ein Gut, ‹gewidmet› für den Baubestand der Kapelle; es hatte für den Unterhalt des Gebäudes aufzukommen, vor allem das immer wieder zu reparierende Dach, entscheidend für den Gebäudeunterhalt. Der Inhaber des «Widums» erhielt dann den Familiennamen Widmer – 1450 lebten Rudy und Bürgi Widmer im Dorf. Auch die Meier, Huber, Ammann, Schuppisser, Zehnder haben ihre Familiennamen von der Funktion in Grundherrschaften.
Guggenbühl: Ob der Bahnlinie halbwegs zwischen beiden Dörfern, Hofsiedlung. Der prächtige Rundblick über das breite Thurtal steckt da im Namen, der wahrlich zum Schauen einlädt und sich weitgehend selbst erklärt. «Bühl» für eine sanfte, nicht allzu hohe Erhebung ist in unsrer von Gletschern modellierten Landschaft vielfach anzutreffen. Die alemannischen Gründer von ‹Torilinchovun› und ‹Guotinchusun› redeten noch vom ‹Buhil›, später dann ‹Bühel›, schliesslich «Büel/Bühl». (Der Begriff Hügel ist erst in der Neuzeit mit der Luthersprache in den breiten deutschen Wortschatz gekommen).
Chalchdole: Ebenfalls auf der Schulter des Thurtals, direkt über Thalheim. Da befand sich eine Bodenvertiefung zum Brennen von Kalk, von der längere Zeit Spuren deutlich sichtbar blieben. Ursprünglich hiess es ‹Chalchdore›: Ort, wo jeweils, während mehreren Tagen und Nächten Kalkstein erhitzt, dann gelöscht wurde, so dass Kalk in Pulverform entstand. Solcher «Chalch» war der wichtigste Baustoff, mit Sand und Wasser zu Mörtel verarbeitet. ‹Dore› ist eine Anlage zum Erhitzen oder Dörren. Als dessen Sinn nicht mehr klar war, kam dafür «Dole» zum Zug, eine vertraute Sache, ebenfalls eine Vertiefung wie der einstige Kalkofen, also «Chalch-Dole».
Text: Reinhard Nägeli, Bilder: Redaktionsteam