Begegnungen mit einer kanadischen Schule

Um Englisch an der Primarstufe unterrichten zu dürfen, braucht es eine Zusatzqualifikation. Dazu gehört unter anderem, dass man 3 Wochen an einer Schule im englischen Sprachgebiet als «assisstant teacher» arbeitet. Ziel ist es dabei, die persönliche Englisch-Kompetenz zu erweitern und zu festigen, v.a. auch hinsichtlich der «classroom language».

Da Englisch weltweit in vielen Ländern und Gegenden gesprochen und unterrichtet wird, stehen einem unzählige Destinationen dafür zur Auswahl. Ich durfte die Suche nach einer geeigneten Schule der Pädagogischen Hochschule Zürich überlassen. Im April erhielt ich dann Bescheid, dass ich nach Waterford, Ontario, Kanada gehen würde. Ich freute mich sehr! Ende Mai bis Mitte Juni 2019 verbrachte ich also im Südosten Kanadas, zwischen Lake Erie und Lake Ontario. Gerne möchte ich hier einige wenige Erfahrungen und Erkenntnisse mitteilen.

1. In Kanada ist ALLES grösser!

Ich wurde informiert, dass es mich an eine kleine Schule in einem kleinen Dorf «verschlagen» würde. Nach meiner Ankunft konnte ich aber feststellen, dass das Dorf ca. 3000 Einwohner hat und die Schule von 340 Kindern besucht wird. Die Kanadier waren immer wieder erstaunt, wenn ich von unseren rund 80 Schulkindern aus dem 900-Seelendorf berichtete. Die Kinder werden jeden Morgen von 5 Schulbussen an ihren Wohnorten eingesammelt und zur Schule gefahren. Mit dem Velo oder zu Fuss zur Schule kommen nur ganz wenige Kinder.

Natürlich war ich extrem beeindruckt von den geographischen Dimensionen. Waterford liegt unweit des Lake Erie. Dieser zweitkleinste See der fünf «Grossen Seen» ist 50-mal so gross wie der Bodensee! Schier unvorstellbar…

2. Junge Kanadische Schulkinder gehen viel länger in die Schule als unsere Kindergartenkinder und Erst- und Zweitklässler

Der Schultag dauert für alle Schüler (fünf- bis 13-Jährige) gleich lang. Er beginnt um 8.50 Uhr und dauert bis 15.10 Uhr. Dazwischen gibt es zwei vierzigminütige Pausen (zwanzig Minuten im Freien und zwanzig Minuten für Znüni-/Zmittagessen im Schulzimmer). Das ergibt eine wöchentliche reine Unterrichtszeit von 1500 Minuten. Demgegenüber besuchen unsere Erstklässler den reinen Unterricht während etwas über 1000 Minuten pro Woche. Ein grosser Unterschied, wie ich finde.

3. Die Erstklässler beschäftigen sich mit «kompliziertem» Schulstoff

Erstaunt haben mich immer wieder die Unterrichtsthemen der «Grade 1». So machten die Kinder in der Mathematik erste Erfahrungen im Bruchrechnen und mit Wahrscheinlichkeit. In «social studies» ging es ums Kennenlernen der eigenen Gemeinde. Dies war auch für mich sehr interessant. Wir besuchten zusammen die Feuerwehr, den lokalen Supermarkt und die Poststelle.
Solche Themen stehen für unsere Kinder klar später im Lehrplan. Ich hatte denn auch wiederholt das Gefühl, dass nicht wenige der 1.Klässler den Inhalt noch nicht richtig verstehen konnten und überfordert waren. Die oben erwähnte lange tägliche Unterrichtszeit hat natürlich auch dazu beigetragen, dass so manches Kind im letzten Drittel des Schultages nicht mehr so viel aufnehmen konnte. Ich bin also klar der Meinung, dass es «unsere» jungen Schulkinder diesbezüglich doch besser haben.

4. «O Canada» – Stolz der Kanadier

Jeden Morgen werden durch das Lautsprechersystem Informationen und Ankündigungen zum bevorstehenden Tag durch ältere Schülerinnen und Schüler verlesen. Am Ende dieser Durchsagen stehen alle auf, richten ihren Blick auf die Kanadische Flagge im Schulzimmer und singen die Nationalhymne «O Canada». Nach der Hymne sprechen alle Kinder und Lehrpersonen «the pledge». Dies ist ein Versprechen, die Werte Kanadas (v.a. Freiheit) zu achten und sich entsprechend zu verhalten. Ich machte mir viele Gedanken, wie es wohl wäre, wenn wir das bei uns auch so oder ähnlich handhaben würden. Ich persönlich wäre wohl etwas irritiert, wenn es heissen würde, wir hätten nun auch jeden Morgen die Nationalhymne zu singen. In Kanada hab ich dies aber interessanterweise sehr geschätzt und überhaupt nicht «seltsam» gefunden.

Für mich waren es unvergessliche drei Wochen, voller bereichernder Erlebnisse und wertvollen Erfahrungen- nicht zuletzt auch für meinen weiteren Alltag an unserer Primarschule Thalheim. Dafür bin ich sehr dankbar.

Martin Weidmann,
Lehrperson 3./4. Klasse

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