Von Ausflügen und Reisen bringen wir gerne Erinnerungsstücke mit, Souvenirs. Bei mir sammeln sich etwa Steine aus vielen Regionen und Ländern. Von den meisten weiss ich nicht mehr, wo ich sie aufgelesen habe.
Soeben habe ich von zwei ganz, ganz traurigen Souvenirs gelesen. Ein berühmter deutscher Schauspieler und Regisseur, Kurt Gerron, durfte unter dem Hitler-Regime nicht mehr arbeiten, da er Jude war. Wie Abertausende wurde er zusammen mit seiner Frau Olga isoliert, dann verschleppt. Nach andern Stationen kamen sie nach Theresienstadt, einer Art Vorzeige-Konzentrationslager für jüdische Prominente. In der winzigen Bleibe des Ehepaars stand eine dürre Rose in einer Konservendose, daneben lag ein trockenes Stück Brot. Zwei Souvenirs. Die Rose hat Olga einmal bekommen, eine der wenigen Rosen, die vor der SS-Kommandantur im Lager blühten. Das Brot hat Kurt Gerron von einer Mitgefangenen erhalten am Schluss einer Kabarett-Aufführung, die er im Lager organisieren musste. Da Brot ungemein rar war, berührte ihn dieses Geschenk so sehr, dass er es nicht ass. Zwei erschütternde Souvenirs in einem erschütternden Buch*. Daneben haben die meisten Erinnerungsstücke, die üblicherweise in unsern Häusern abgestaubt werden müssen, nur wenig Wert.
In diesen Tagen erinnere ich mich auch an die verschiedenen Gedankenflüge, die Themen, die ich in meinen Texten aufgegriffen habe. Seit zehn Jahren nunmehr – ja, ich bin selbst erschrocken, als ich zurückgeblättert habe und auf die Zahl zehn kam. Manche Texte sind mir leichter gefallen, andere weniger. Eine Kolumne, was der Gedankenflug ja sein will, darf weder zu heiter noch zu schwierig noch zu kritisch sein. Aber nur fröhlich auch nicht. Am schwersten ist mir das Gleichgewicht oft im Spätherbst gefallen, wenn über unserm Weinland die dicke Nebeldecke liegt und aufs Gemüt drückt. So wie jetzt. Und was soll ich nun tun? Bis hierhin ist dieser Gedankenflug vorwiegend nachdenklich und traurig. Wie wende ich ihn nun noch ein wenig ins Freundliche? Es geht, wenn ich aus dem Fenster schaue auf die goldgelbe Blätterpracht der Bäume, auf die roten Beeren der Pfaffehüetli und Hundsrosen – sie hellen die grauen Tage auf. Sie erzählen auch vom ewigen Werden und Vergehen. Die Blätter fallen zu Boden, werden zu Humus – und nächstes Jahr wächst neues Grün.
Nächstes Jahr wird auch eine neue Dorfposcht mit einer neuen Redaktion erscheinen. Ohne meinen Gedankenflug. Ich habe ihn gern geschrieben, aber zehn Jahre sind genug. Deshalb ist das nun der letzte Punkt unter meinem letzten Gedankenflug – der Schluss-
Ursy Trösch
* Charles Lewinsky, Gerron, Verlag Nagel & Kimche, bei uns in der Bibliothek erhältlich.