Gedankenflug: Reihenweise starre Köpfe in den Illustrierten

Wenn dieses Heft in den Thalheimer Häusern verteilt wird, dann ist – wenigstens an den meisten Orten – die Fasnacht längst vorbei. Aber jetzt da ich diese Zeilen schreibe, ist sie noch überall voll im Gang. Die Kleinste einer befreundeten Familie durfte erstmals mit dem Kindergarten am Fasnachtsumzug teilnehmen. Mit einer selbst gebastelten Larve auf dem Kopf. Sie wirkte schüchtern und fast ein bisschen ängstlich, auch als sie die andern Kinder anschaute. Doch die Freude, dass sie selbst dabei sein konnte, überwog die Angst. Es ist etwas Besonderes, unter einer Maske durch die Strassen zu gehen. Viele Jahre lang habe ich das in Basel alljährlich gemacht. Wir sprachen sinnigerweise von unsern «Köpfen», deren wir im Lauf der Jahre eine ganze Reihe zur Auswahl hatten. «Was legsch am Morgestraich für e Kopf a?» Ich nahm meistens meinen Lausbuben, denn da war eine Laterne obendrauf. Und vor allem sah ich gut aus der Larve hinaus. Nicht alle «Köpfe» waren so praktisch. Meine «Hexe» mit der spitzen Hakennase zum Beispiel, die hatte unter dem grosszügigen Ausschnitt für den Mund und für das Piccolo noch ein ganz spitzes Kinn. Da durfte ich den Kopf nicht zu fest bewegen, sonst rutschte sie in Schieflage und ich sah nicht mehr viel. Und sehen aus einer Larve ist nicht nur wichtig, damit man nicht auf die Nase fällt oder kleine Binggisse über den Haufen wirft. Aus einer Larve schauen ist auch etwas ganz Spezielles. Selbst ist man nicht da, unsichtbar – doch man sieht alles, was rundherum geht, die Leute, die am Strassenrand stehen. Es ist ein ziemlich stilles Gehen in einer Menge Leute. Und sie sehen in einem eine andere Gestalt. Wenn man dann so stundenlang durch die Strassen und Gassen zieht als eine andere, ein anderer, hebt man irgendwie ab in andere Sphären. Nach drei Tagen Fasnacht muss man erst wieder zurückkommen und in der Wirklichkeit landen. Ich mag Larven, Fasnachtslarven.

Es gibt aber eine andere Art von Larven, von Masken, die mir weniger gut gefallen. Es sind die Gesichter, die mich anschauen, meistens anlachen von Promi-Fotos. Gesichter, die zwar Heiterkeit, Freundlichkeit, vielleicht gar Fröhlichkeit ausdrücken wollen – und die doch seltsam leblos und starr wirken. Reihenweise findet man sie in den Illustrierten. Da frage ich mich oft, wer ist hinter diesem Gesicht? Wie ist dieser Mensch wirklich, wenn er nicht in die Öffentlichkeit schauen muss? Noch viel mehr verwirren mich alle die Gesichter und Köpfe, die zurzeit von den Plakatwänden und an den Strassenrändern lachen. Von den Wahlplakaten. Da geht es mir bei manchen wie dem kleinen Kindergarten-Mädchen mit den andern Gspänli unter ihrer Larve: sie machen mir ein wenig Angst, ich glaube ihnen nicht.


Ursy Trösch
Illustration: wjo

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