Bei einer Tasse Kaffee hat mir kürzlich meine Freundin Franziska von einem Erlebnis erzählt, das sie von einer Sekunde auf die andere in eine tiefe Nachdenklichkeit gestürzt hat: Sie war unterwegs in der Stadt und hatte sich eben geärgert über eine unfreundliche Verkäuferin und darüber, dass es das gesuchte Ersatzteil für ihre Küchenmaschine nicht mehr gab. Es hatte geregnet. Als sie über den Petersplatz ging, rutschte sie auf liegen gebliebenen nassen Blättern aus und schlug mit dem Kopf hart auf dem Boden auf. Sie blieb liegen und konnte sich nicht rühren. Vor Schreck – oder weil sie am Ende eine Rückenverletzung hatte? Sie wusste es nicht. Rasch standen Menschen um sie herum, die versuchten sie zu beruhigen. Die Ambulanz kam, man verpasste ihr sorgfältig einen hohen steifen Halskragen, legte sie auf eine Transportbahre und schob sie in das Krankenauto. Alles nahm seinen Lauf, sie hatte dazu nichts zu sagen. Um es kurz zu machen: Sie hat Glück gehabt. Eine dicke Beule, ein paar Schrammen am Ellbogen, Schmerzen im Kopf und am Hals, aber keine ernsthaften Verletzungen. Körperlich jedenfalls nicht. Doch in ihr drin sah es anders aus.
Wie hatte sie sich ein paar Minuten vor dem schmerzhaften Sturz noch geärgert über Kleinigkeiten des Alltags. Als sie da am Boden lag, durchkreuzten ganz andere Gedanken ihren Kopf. Was wenn ich eine Verletzung im Rücken habe und gelähmt bin? Was wenn ich einen Schädelbruch habe und nachher nicht mehr richtig ticke? Wenige Tage später, als das Gstürm vorbei war und sie wieder normal funktionierte, erinnerte sie sich an diese ersten Gedanken. Und sie verfolgen sie seither. Wie schnell geht es, dass sogenannt «Wichtiges» wie ein Ersatzteil für die Küchenmaschine gänzlich nebensächlich wird. Da merkt man schlagartig, was wirklich zählt. Von einer Sekunde zur anderen kann alles ganz anders sein.
Und noch etwas sagte mir Franziska: «Weisst du, eigentlich glaube ich ja nicht an Dinge wie Amulette und Schutzengel. Aber ich hatte an diesem Tag ein winziges Amulett in der Tasche, das mir vor Jahren eine gute Kollegin von Einsiedeln mitgebracht hat. Keine Ahnung, warum ich es gerade in diese Tasche gelegt, und warum ich gerade diese Tasche dabei hatte. Ob das kleine Amulett doch gewirkt hat? Oder vielleicht auch der weisse Schutzengel, welcher seit wenigen Wochen bei mir auf dem Schrank sitzt? Auch ein Geschenk von einer Freundin, damit er auf mich aufpasst. Ob Schutzengel doch nicht nur Filmfiguren sind?» Franziska sieht nämlich fürs Leben gern romantische Filme mit Schutzengeln, mit Verstorbenen, die zurück auf die Welt kommen – dabei vergiesst sie dann zwei, drei Tränen. Tja, und wenn es sie doch gibt, die Schutzengel?
Ursy Trösch