Kürzlich habe ich viel gelernt über meinen Kopf. Genauer über mein Hirn. Dass wir nicht nur im Kopf sondern auch im Bauch eine Art Hirn haben, eine Schaltstelle, die unsern Körper dirigiert. Weiter haben wir auch nicht nur ein Gedächtnis, sondern mindestens deren drei: das Ultra-Kurzzeit-Gedächtnis, das filtert, was wir nicht im Kopf behalten müssen. Und das ist viel! Zum Glück entscheidet unser Hirn, dass wir nicht alles, was wir sehen, hören, riechen, auch abspeichern, sonst würden wir ja durchdrehen. Was wir uns merken müssen, kommt ins Kurzzeit-Gedächtnis, das es etwa zwaznzig Minuten lang aufbewahrt. Und danach gelangt wirklich Erinnerns- und Behaltenswertes in unser Langzeitgedächtnis. Was lange Zeit im Gedächtnis bleibt und bleiben soll, ist dort drin fein säuberlich versorgt. Wie die Konfitürengläser im Vorratsschrank mit einer Etikette versehen. Da steht dann etwa: «Erster Besuch in New York 1970» oder «Taufe Marc 1973» oder «Tod Vater 1987» oder «Parallelen treffen sich in der Unendlichkeit» oder «nach ‹wegen› folgt das Substantiv im Genitiv».
Und weil alle wichtigen Informationen und Erinnerungen so schön geordnet sind in unserem Kopf, finden wir sie wieder. Können wir Bilder und Geschichten und Formeln auch nach Jahren wieder hervorholen.
Oder auch nicht.
Was wir doch alles vergessen, uns nicht mehr erinnern an Erlebnisse, von denen wir überzeugt waren, dass sie uns auf immer geprägt haben. Wissen, das wir in der Ausbildung mühsam gepaukt haben, ist weg. Wie macht man jetzt schon wieder einen Dreisatz? Was heisst auf Italienisch Zahnstocher?
Das Langzeitgedächtnis «entlässt» eben auch Vieles, dann hat es Platz für Neues – so jedenfalls habe ich immer gedacht. So ist es scheints aber gar nicht, das habe ich jetzt gelernt:
Informationen werden in Form von Protein eingelagert im Gehirn. Information wird Materie. Und das bleibt sie auch. Wenn ich also etwas vergessen habe, dann heisst das nicht, dass es nicht mehr in meinem Kopf ist. Es lagert dort als Proteinkette – aber ich finde den Weg nicht mehr dazu.
Ich finde es ja wahnsinnig faszinierend, dass in meinem Langzeitgedächtnis seit meiner Geburt zigtausend Informationen als Proteinketten lagern. Dass jedoch viele sich erfolgreich verstecken, mir keinen Zugriff mehr erlauben und deshalb halt «vergessen» sind, obwohl sie da sind – das macht mich halb verrückt.
Ob ich wohl in fünf Jahren noch weiss, dass ich, was ich jetzt gelernt habe, noch wissen könnte, wenn ich es fände?
Ursy Trösch