«Pascal beneidete sie um ihr Glück, das Leben vor sich zu haben und nicht hinter sich.» Das steht in den Erinnerungen eines alten Bahnwärters, der in Südfrankreich lebt. Allein geblieben – seine Frau ist gestorben – denkt er über sein Leben nach. Über sein Alter und über die heutige Jugend.
Mit dem Neid auf die jungen Menschen ist es so eine Sache. Möchten wir wirklich nochmals zwanzig sein? Die ganze «weisse Landkarte» unseres Lebens nochmals vor uns haben? Das würde zwar viele Möglichkeiten bieten – aber Möglichkeiten zur Freude und zum Ärger, zur Liebe und zum Leid, zum Erfolg und zur Mühsal. Und ob wir unser Leben soviel besser leben, manches soviel gescheiter machen würden, ist eine müssige Frage.
Mich interessiert mehr, wie wir zur Erkenntnis kommen, dass wir das Leben hinter uns haben. Sie schleicht sich so langsam ein. Am vierzigsten Geburtstag erwachen wir und wissen, dass wir statistisch gesehen ungefähr in der Mitte des Lebens angekommen sind. Zehn Jahre später wird uns klar: nun gehen wir weniger lang weiter, als wir schon gegangen sind. Und spätestens dann müssen wir erkennen, dass wir nicht mehr alles machen und unternehmen können, wovon wir geträumt haben. Die monatelange Weltreise liegt wohl nicht mehr drin, es sei denn wir gewinnen im Lotto. Das tolle Abendkleid mit dem grossen Ausschnitt und der Wespentaille können wir getrost vergessen, die schlanken Zeiten mit der straffen Haut sind vorbei. Und der New Yorker Marathon wird ein Traum bleiben, weil wir zu wenig trainiert sind.
Und dann ist es nicht mehr weit zur Erkenntnis: Wir werden langsam alt. Und dass alt werden so wahnsinnig toll ist, wie es manche Werber oder Berufsalte in die Welt posaunen, das mögen wir auch nicht recht glauben. Spätestens in diesem Moment schleicht sich eine leise Trauer ein.
Doch etwas haben wir der beneideten Jugend voraus: wir müssen manche Dinge nicht mehr mitmachen. Zum Beispiel unsinnige Mode-Erscheinungen, um dazu zu gehören.
Und da fällt mir wieder der alte Pascal ein. In seiner Geschichte steht: «Die Wut packte ihn angesichts der Jugend von heute. Man musste sie nur sehen, diese geschmacklos angezogenen Kerlchen, denen der Hosenboden fast in den Kniekehlen hing, als hätten sie hineingekackt! Und die in Jeans und hautenge Pullover eingeschnürten Mädchen, die mit faltigem Bauch herumtigerten und ihr Fett zur Schau trugen.» Was Pascal vergisst: Geschmacklosigkeiten kommen bei Menschen aller Altersstufen vor.
Ursy Trösch
Isabelle Condou, «Pascals Bekenntnisse», Verlag Hoffmann und Campe