Eines Abends anfangs Mai surrte es in unserm Wintergarten, ein Ding schwirrte wie wild den Fenstern entlang durch die Luft – unsere Katze hinterher. Zuerst schnappte ich die Katze, stellte sie ins Freie – und dann wollte ich doch wissen, was denn da so laut summte: ein Maikäfer war’s. Ich habe ihn angestaunt, er sah schön aus mit seinen gekerbten braunen Flügeln und den breiten schwarzen Fühlern am Kopf. Was hatten wir bloss damals in meiner Kindheit gegen die Maikäfer? Wir sammelten sie massenhaft in Schuhkartons, in deren Deckel wir Löcher schnitten. Die Ärmsten! Ich kann nicht sagen, dass ich sie seither vermisst hätte – es ist schlimmer: Ich habe die Maikäfer vergessen. Es hat sie einfach nicht mehr gegeben – nicht in der Natur und nicht in meinem Kopf.
Nun hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich wollte jetzt wissen, warum wir so Jagd gemacht hatten auf die gemütlichen Brummer. Und dafür gibt es ja etwas, das es damals noch nicht gegeben hatte, als ich die Käfer sammelte: das Internet. Unter dem Stichwort «Maikäfer» habe ich mehr als 400’000 Einträge gefunden. Langsam erinnerte ich mich: in meiner Kindheit hatten die Maikäfer in riesiger Anzahl ein Flugjahr veranstaltet und sich an den Blättern von Bäumen und Pflanzen gütlich getan. Und da Maikäfer zuerst als Engerlinge im Boden leben und die Wurzeln fressen, hat man den schönen Brummer als Schädling bekämpft – logisch. Der Chansonnier Reinhard Mey hat ihn besungen:
Maikäfer fliege,
dass ich dich nicht kriege!
Flieg hinaus ins weite Land,
fliege fort von meiner Hand!
Wieviele Kinder heute wohl die Maikäfer noch kennen? Wieviele Dinge gibt es auch sonst noch, die sie nicht mehr kennen? Solche Gedanken machen mich leicht melancholisch, das gehört wohl zum Älterwerden. Kürzlich fiel mir ein, wie wir jeweils im Kindergarten der Mustermesse waren, während die Eltern die Messehallen besuchten. Da bekam jedes Kind einen orangen Sonnenschild, das war nichts anderes als ein Karton mit einem Elastikband dran. Wir hatten damals eine Riesenfreude an dem Ding – heute würde es wohl keines Blickes mehr gewürdigt. Die Ansprüche ändern sich, doch auch die Probleme. Schön ist, dass Kinder und Jugendliche mit neuen Kräften, Energien und Ideen ausgerüstet sind, um auch die neuen Schwierigkeiten zu meistern. Melancholie ade …
Ursy Trösch