Natur: Distelfink

Letztes Jahr bin ich vom SVS (Schweizer Vogelschutz) zum Vogel des Jahres gewählt worden und heuer gereicht es mir sogar zu einem Porträt in der viel gelesenen Dorfposcht Thalheim!

Ts, ts, ob so viel Ehre treibt es mir gerade noch mal ein wenig mehr der Röte in meine prächtig gefärbte Gesichtsmaske. Doch hätte es für mich beinahe ein graues Ende genommen. So jedenfalls erzählts die Legende:

«Als der liebe Gott beim Färben der Vögel war – es muss am 5. Schöpfungstag gewesen sein – ging langsam die Farbe zu Ende und ausgerechnet als fast nichts mehr da war zum bunt Färben, flog der Stieglitz, welcher sich herumgetrieben hatte, in die Malstube ein. Da erbarmte sich der liebe Gott und kratzte aus allen Tiegeln die Reste von Rot und Weiss, von Gelb und Schwarz zusammen, machte da einen Klecks, dort einen Spritzer und als er fertig war, hatte er unseren farbenprächtigsten einheimischen Vogel geschaffen.»

Ein buntes Kleid für Männchen und Weibchen

Bei uns Distelfinken sind Weibchen und Männchen gleich gefärbt, so dass von blossem Auge kein Unterschied fest zu stellen ist. Auch der Gesang lässt sich nicht zu Rate ziehen, denn bei uns singen Männchen und Weibchen. Neben der auffälligen Kopfmaske fällt eine leuchtend gelbe Binde im schwarzen Flügel auf. Schwanz und Schwungfedern sind mit weissen Spitzen versehen. Unsere Jungvögel sind bis auf die schwarzgelben Flügel und den schwarzen Schwanz graubraun gefärbt und am Bauch gestrichelt. Die schlichte Färbung hilft den unerfahrenen Jungen sich vor Feinden zu schützen.

Ansprüche an Lebensraum und Nahrung

Als typischer Kulturfolger fühle ich mich in der Nähe von naturnah bebauten Siedlungen wohl. Im Kulturland bevorzuge ich strukturreiche Landstriche, wo ich alleine stehende Feldobstbäume, abgestufte Waldränder mit Einzelbüschen und Hochstamm-Obstgärten mit extensiver Unternutzung schätze. Weiter brüten wir in Friedhöfen, Schrebergärten, Kiesgruben und Alleen.

Ich bin ein wichtiger Zeuge dafür, dass sich praktischer Naturschutz auch im Kleinen lohnt und gelte deshalb als Indikatorart für die SVS-Kampagne «Kleinstrukturen – Lebensnetze der Natur».

Anatomische Vorteile der Männchen mit Folgen für das Zugverhalten

Auf brachliegenden Schuttflächen finde ich an Disteln meine lebensnotwendigen Sämereien. Disteln sind aber nur eine von über 150 Pflanzenarten an denen ich versuche mit meinem langen Pinzettenschnabel die Samen heraus zu klauben.

Haben Sie gewusst, dass wir Männchen einen um 9% längeren Schnabel besitzen als die Weibchen? Zudem ist er spitziger und leicht gebogen. Dies ermöglicht uns, auch im Winter, an der Wilden Karde die Samen unter akrobatischen Verrenkungen heraus zu ziehen. Dank diesem Vorteil bleiben wir im Winter eher im Brutgebiet, während die Weibchen in ein besseres Nahrungsbiotop, zum Beispiel in die Mittelmeerregion oder an den Rand der Sahara ziehen.

Sippenbrüd(t)er und Baumeisterinnen

Wir gelten als eigentliche «Sippenbrüder». Wir brüten nämlich gerne dort, wo bereits andere Artgenossen zur Brut geschritten sind, so dass ganze Nestgruppen mit mehreren Paaren entstehen. Berührungsängste kennen wir nicht. Wir verteidigen nur den unmittelbaren Nestbereich.

Wird die Individualdistanz jedoch unterschritten, drohe ich mit offenem Schnabel und gesträubtem Kopfgefieder. Kommts einmal doch zum Streit, verteile ich unter «Kerr»-Rufen Schnabelhiebe und – erzählen Sie es aber nicht weiter – manchmal gar Fusstritte …

Ende April überlasse ich Nistplatzwahl und Nestbau grosszügig meinem Weibchen, welches manchmal federsträubend luftige Bauplätze, oft exponiert am äussersten Ende von Zweigen, dafür auswählt. Da wird es mir nur schon vom Zuschauen schwindlig, so dass ich lieber, unter pendelnden, mein Gleichgewicht suchenden Bewegungen, weiter mein hastiges Lied vortrage, welches ich mit einer schnellen, zwitschernden Folge von «stiglitt, stiglitt»-Rufen einleite. Diese Rufe haben mir meinen ursprünglichen Namen «Stieglitz» gegeben.

Das Gelege besteht meistens aus 5 Eiern, welche während 12 Tagen ausschliesslich vom Weibchen bebrütet werden. In dieser Zeit und während der Aufzucht, erweitere ich den Speisezettel mit Eiweiss, indem ich dem Weibchen und den Jungen auch Blattläuse verfüttere. Nach 12-14 Tagen verlassen die Jungen das Nest.

Der Stieglitz in der mittelalterlichen Kunst und Medizin

Wir sind überdurchschnittlich häufig auf mittelalterlicher Malerei abgebildet. Oft vertreten bin ich auf Madonnenbildern mit Kind. Auch in der Darstellung von Paradiesgärten fehle ich selten. Und auf alten Wandteppichen mit Jagdszenen findet sich zwischen Einhorn und Wildschwein bestimmt ein urwüchsiger Baum, wo ich zwischen den Aesten turne. Diese häufige Präsenz hatte auch seinen Grund: Wer etwas auf sich hielt, hielt sich eben einen Stieglitz in einem Vogelbauer und so musste der attraktive Vogel als Modell herhalten, wenn Illustratoren von heiligen Büchern, Altarbildern oder Aehnlichem eine lebendige Vorlage brauchten.

In Gessners Vogelbuch von 1554 heisst es, dass man uns auch bei Erkrankten einsetzte. So hängte man einen Stieglitz in das Zimmer einer Schwindsüchtigen, damit der Vogel die Krankheit auf sich ziehe. Doch zwitscherte der Vogel am dritten Tage immer noch munter drauflos, konnte man getrost den Sargschreiner beauftragen und den Pfarrer bestellen …

Wie können wir Distelfinken schützen und fördern?

Im Herbst, nach abgeschlossenem Brutgeschäft – Stieglitze brüten oft auch in höheren Lagen – ziehen die meisten Vögel in geselligen, kleinen Trupps wieder in die Ebene um hier Nahrung zu suchen. Distelfinken sind darauf angewiesen, dass wir Krautsäume entlang von Gräben und Steinhaufen sowie Gehölzgruppen stehen lassen. Zusätzlich verbessern ungenutzte Ruderalflächen, auch direkt um das eigene Haus herum oder Böschungen wo Altgras stehen gelassen wird, das Nahrungsangebot merklich.

Wenn Sie einen Garten besitzen, sollten sie exotische Pflanzen entfernen und durch einheimische Sträucher ersetzen, sowie Sonnenblumen, Disteln aber auch andere verblühte Pflanzen wenigstens teilweise stehen lassen.

Dann können Sie sich bestimmt auch im Winter, bequem von der warmen Stube aus an den bunten Farbtupfern im Garten freuen.

für die Dorfposcht Thalheim,
Andy Widmer, Altikon

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