Haben Sie sich schon mal Gedanken gemacht, was unsere Möbel so alles erzählen könnten? Ich habe eimal den Lebenslauf unseres Tisches verfolgt.
Im April 1978 wurde ich von einer jungen Frau im ABM Rosenberg gekauft.
Nun fing mein bewegtes Leben an. Ich wurde in einer Dachwohnung aus der Verpackung genommen und montiert. In einer hübschen Küche stand ich da, zusammen mit vier schönen Stühlen. Ich wurde auch eingeweiht, oder besser gesagt getauft. Meine stolze Besitzerin zusammen mit ihrem Bruder, der beim Kauf, Transport und der Montage behilflich war, haben auf meine Geburt, feierlich mit Wein angestossen. Schon bald fanden bei mir Sitzungen der Landjugendgruppe Weinland statt. Es wurde gegessen, getrunken und geplaudert, Guetzli gebacken und Geschenke gebastelt. Das Guetzli backen bekam mir allerdings schlecht, denn eine Backhelferin (oder Bäckerin?) hat mir beim Leckerli schneiden tiefe Wunden zugefügt. Da war ich nicht mehr so schön – Alterserscheinungen. Ansonsten war es ein angenehmes Leben in der Dachwohnung. Von dieser wurde ich jedoch nach Oberwil gezügelt, wiederum in eine Küche. Es wurden Feste gefeiert, viel gelernt für Prüfungen, gegessen und getrunken bei mir. Schon bald aber wurde erneut gezügelt, diesmal in eine grössere Wohnung – welche Ehre, ich durfte in der Stube Platz nehmen. Damit die «Guetzlischäden» nicht so gut sichtbar waren, wurde ich mit einer schicken Tischdecke bekleidet. Hier in dieser Wohnung erlebte ich allerhand. Zum Beispiel wurde die Geburt der ersten Tochter mit den Turnerkollegen gefeiert. Dazu wurde ich vorsichtshalber mit Zeitungen abgedeckt! Der Samichlaus breitete seine Gaben auf mir aus. Leider wurde ich eines Tages sehr beschädigt. Ein unvorsichtiger Gast, der hilfsbereit sein wollte, kippte das Bourgignonnepfännchen mit heissem Oel um. Gäste mit Verbrennungen, Stühle, Tischdecke, Teppich, Tapete mit Oelflecken, waren die Folge. Bei mir war der Lack dahin. Ich wurde auf den Balkon getragen und dort mit einer Schleifmaschine bearbeitet. Danach bekam ich zwei Schichten Lack und war wieder wie neu. Ach. Von dieser Stubenzeit könnte ich viele Geschichten erzählen, lustige und auch traurige, leisere und stürmische, es war immer etwas los in der Stube, es waren ja auch drei lebhafte Kinder hier zu Hause. Da die Familie nun grösser war, wurde ich zu klein. Ein grosser Tisch, den man noch vergrössern konnte, wurde angeschafft und ich kurzerhand wegen Platznot in den Estrich verfrachtet. Als wir in ein altes Bauerhaus zügelten, hatte ich wieder Platz. Ich wurde nun im Arbeitszimmer aufgestellt. Da wurde Wäsche gefaltet, geschneidert, Hausaufgaben gemacht, Büropapier sortiert und Weihnachtsgeschenke gebastelt. Leider kam mit der Zeit mancher Farbtupfen und Kratzer dazu. Aber es war gemütlich in diesem Arbeitszimmer, denn ich stand neben dem kleinen Kachelofen und hatte im Winter wohlig warm. Doch dann begann die grosse Reise. Ich wurde auf einen Zügellastwagen geladen und los gings in Richtung Frankreich. Der Zöllner hatte nichts zu beanstanden bei mir, ich durfte in France einwandern. In eine grosse Stube wurde ich gestellt, also schon eher ein grosser Salon. Ich kam mir da so winzig und klein vor. Bald löste mich jedoch ein grosser, stattlicher Tisch ab und so landete ich im Arbeitszimmer. Daran war ich ja schon gewöhnt. Anstatt gegessen wurde wieder geschneidert, gemalt und gebastelt bei mir. Schön war das Leben, immer war etwas los. Und jetzt werde ich nach draussen getragen und die Schleifmaschine kratzt heftig an mir herum. Na ja, evtl. wartet eine schöne Aufgabe auf mich. Die Tochter Nicole zieht in die erste eigene Wohnung und wäre froh um einen Tisch wie mich. Darum werde ich nun wieder aufgefrischt. Was ich wohl noch so alles erleben darf?
Bei uns in der Küche steht der Aussteuer-Stubentisch von meinen Urgrosseltern, was der wohl alles erzählen könnte? Oder der alte Bauernschrank, den mir ein Freund der Familie geschenkt hat?
M. Fluck