Editorial

Editorial der Dorfposcht Nr. 77 vom 24. September 2004

Liebe Leserinnen und Leser

[Das Titelbild der Dorfposcht Nr 77 vom September 2004]Friedlich schliefen die Einwohner des schmucken Weinländerdorfes Thalheim an der Thur. Doch in der Vollmondnacht vom zweiten auf den dritten Juli geschah etwas Sonderbares. Auf dem Weizenfeld von Guido Roggensinger entstand ein Kornkreis. Rasch ging die Kunde durch das Dorf. Die Gemüter erhitzten sich und Kommentare wurden laut. Viele, zum Teil fantastische Geschichten kamen in Umlauf. Die einen glaubten an Besuch von Ausserirdischen, andere versuchten das Wunder mit unbekannten Kräften der Natur zu erklären und ein grosser Teil war sicher, dass Menschen am Werk waren. Einige beschuldigten gar Guido Roggensinger, er habe die geometrische Figur selbst angelegt um das Öffentliche Interesse auf sich zu ziehen

Plötzlich stand das Bauerndorf im Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Radiostationen, Fernsehsender sowie Zeitungen und Zeitschriften von nationaler Bedeutung bemühten sich und kamen ins Zürcher Weinland, um über das Ereignis zu berichten. Auch Kornkreis Experten tauchten auf, um die Sache wissenschaftlich anzugehen. Tausende von Menschen kamen nach Thalheim, um das «Wunder» zu sehen. Einige sprachen von heilender Wirkung im Innern des Gebildes, andere fühlten sich unwohl. Esoteriker kamen auf den Plan und sprachen von Energien, die in dem Kornkreis freigesetzt würden.

Man kann über diesen Kornkreis verschiedener Meinung sein. Interessant ist die Geschichte auf jeden Fall. Selbst wenn er durch Menschenhand gelegt wurde. Die Präzision des Gebildes ist erstaunlich und wenn Menschen dahinter stecken, eine beachtliche Leistung. Erstaunlich ist auch, dass niemand etwas bemerkt hatte. Immerhin liegt das Feld in der Nähe der Strasse und die Arbeit – falls sie durch Menschen verwirklicht wurde – konnte sicher nicht in fünf Minuten erledigt werden.

Interessant ist die Geschichte auch, weil sie aufzeigt wie schnell unsere «aufgeklärte» Gesellschaft nicht mehr weiter weiss. Die Menschheit ist heute in der Lage, auf den Mond zu fliegen und dort Astronauten auf einen Spaziergang zu schicken. Ja selbst ein Fahrzeug wurde schon zum Mars geschickt, wo es herumfahren konnte. Doch ein simpler Kornkreis bringt Verwirrung, und niemand kann die Entstehung erklären.

Nun, nachdem das Weizenfeld abgeerntet wurde, haben sich die Wogen geglättet. Es stehen keine Autos mehr auf dem improvisierten Parkplatz. Noch einmal wird das Interesse aufflackern, wenn am 25. September das Kornkreisbier angezapft wird. Nachher wird es wohl ruhig werden um das Feld zwischen Thalheim und Gütighausen. Mich ärgert nur eines: Warum habe ich in jener Nacht geschlafen? Wäre ich doch aufgestanden und hätte beobachtet wie der Kornkreis entstanden ist. Ich hätte der Menschheit erklären können, was geschehen ist und damit ein grosses Rätsel lösen können. Doch ich glaube der Schlaf hat mir gut getan

JakobRoduner

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