Die Redaktion der Dorfposcht wollte wissen, wie es früheren Bewohnern von Thalheim Gütighausen geht, die jetzt im Ausland leben, wie sie ihr Leben meistern, wo Schwierigkeiten auftraten als sie ihre Heimat verliessen und wie sie im neuen Land aufgenommen wurden. Da sieben Adressen von im Ausland lebenden Bürgern bekannt waren, wurden diese von uns angeschrieben. Die Rückmeldungen fielen, wie zu erwarten war, eher spärlich aus.
Am 26. Juli 1993 sind wir (Peter, Maja, Jeannette, Nicole und Beat Fluck) mit Sack und Pack, dem ganzen Haushalt und vielen landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen nach Frankreich in die Champagne ausgewandert. Kaum zu glauben, dass das nun schon zehn Jahre her ist. Von diesen zehn Jahren würde es fast ein ganzes Buch zu erzählen geben. Die Champagne, wo wir nun zu Hause sind, ist im Departement Aube, zwischen Basel und Paris, 120 Kilometer vor Paris. Die Champagne ist ein grosses landwirtschaftliches Gebiet mit kalkhaltigem Boden, darum ja auch die Champagnerherstellung und die Lagerung in den Natur-Kalkkellern. Unser Hof hat 243 Hektaren Landfläche, zwölf Hektaren davon sind Pacht. Wir bewirtschaften einen reinen Ackerbaubetrieb, es wird Weizen Kl. 1, Braugerste, Luzerne, Raps, Zuckerrüben und Kartoffeln angepflanzt. Wir hatten auch schon Eiweisserbsen, was nun aber wegen der Fruchtfolge zurzeit nicht möglich ist. Auch haben wir schon englischen Rasensamen vermehrt, dazu fehlt uns aber eine Trocknungsanlage, um das mit Rendite anbauen zu können. Nach einem Versuch, die Landwirtschaft wie die französischen Kollegen zu betreiben, haben wir uns entschieden, uns eher wieder Richtung Landwirtschaft Schweiz zu verändern. Seit neun Jahren sähen wir Gründüngung, was dem kalkhaltigen weissen Boden zu mehr Humusstruktur verhilft. Wir arbeiten schon etliche Jahre pfluglos, der Boden wird nur noch gelockert, mit einer selbst konstruierten Maschine. Die guten mechanischen Kenntnisse von Peter sind auf einem solchen Hof unbezahlbar, alles wird selber repariert. Dafür haben wir aus dem alten Kuhstall eine sehr gute Werkstatt gemacht, gross genug, um auch den Mähdrescher darin zu reparieren. Die Getreideernte ist immer eine grosse Sache, von Mitte bis Ende Juli wird fast Tag und Nacht gefahren. Da der Silo keine Trocknungsanlage hat, können wir nur bei einer Feuchtigkeit von 14,5 Prozent mit dem Mähen anfangen. So muss man sich dann schon ranhalten, wenn die Sonne brennt und es schnell trocknet. Die Körner werden fahrend auf den Wagen überladen und sofort in den Silo gebracht. Im Normalfall gibt es dort keinen Stau, man kann sofort kippen und wieder zurück zum Mähdrescher. Leider sind in den letzten Jahren die Getreidepreise sehr tief gesunken, der Getreideanbau muss fast als Hobby betrachtet werden. Peter hat nun mit der Fungizidspritzung aufgehört, setzt dafür aber Bioalgen ein, was für Natur und Mensch gesünder ist. Die Luzerne wird von der Trocknungsgenossenschaft gemäht und abtransportiert, es werden Würfel hergestellt, vieles für den Export. Die Luzerne ist nicht sehr rentabel, aber sehr gut für die Bodenstruktur (Durchwurzelung).
Die Kartoffeln ernten wir im gleichen System wie in der Schweiz, sie werden direkt auf der Maschine im Feld erlesen und in Paloxen abgefüllt. Danach lagern wir sie im eigenen Kühllager. Auch die Zuckerrübenernte wird selbst erledigt, ohne fremde Hilfe. Den Transport in die Zuckerfabrik wird allerdings von der Fabrik organisiert und durchgeführt. Der Landwirt ist lediglich für die Rübenhaufen verantwortlich. Es wird in drei bis vier Etappen geerntet, erste Lieferung Anfangs Oktober, letzte im Dezember. Wir können auf unserem Hof 200 Hektaren Land bewässern. Die Bewässerung haben wir selbst eingerichtet, es wurden viele Kilometer Rohre in den Boden verlegt. Es darf nur mit Grundwasser bewässert werden. Normalerweise bewässern wir nur die Kartoffeln, das sind 35 Hektaren, sie werden vier bis fünf Mal bewässert pro Vegetation.
Im Allgemeinen haben wir uns sehr gut eingelebt hier. Mit der Schweizer Genauigkeit und Pünktlichkeit haben wir aber immer noch Probleme. Wie sind die Franzosen doch légère. Komm ich heut nicht, komm ich morgen. Ob das Holzscheit nun fünfzig oder 55 Zentimeter lang ist, kommts drauf an? Spätestens wenn es nicht in den Schwedenofen passt, ärgere ich mich, aber das drückt ja dann unseren Arbeiter nicht. Ob nun im Acker krumm oder gerade gefahren wird, wen kümmerts? Natürlich Peter, er ist doch ein Perfektionist und erledigt alles ganz genau. Wenn man zum Rendez-vous dreissig Minuten zu spät kommt, das ärgert nicht den Coiffeur und auch nicht die Beamten. Ob wir diesen grossen Schritt nochmals gleich machen würden, werden wir oft gefragt? Selten macht man dasselbe zweimal gleich, man lernt immer wieder dazu, so ist es auch bei uns. Manches würden wir wieder so machen. Auch mit der Schule und der Ausbildung ist es hier in Frankreich nicht einfach. Sobald die Kinder keine Windeln mehr brauchen, können sie in den öffentliche Kindergarten, mit sechs Jahren werden sie eingeschult, neun Jahre Schule sind obligatorisch. Die meisten studieren dann lange und wenn sie ausstudiert haben, können sie nicht praktisch arbeiten. Da ist das Schweizer Ausbildungssystem wieder sehr von Vorteil. Über die Politik möchte ich mich nicht gross äussern. Frankreich ist ja ein grosser Sozialstaat, was viele Schwierigkeiten mit sich bringt. So wurde zum Beispiel im Jahre 2000 die 35-Stundenwoche eingeführt, in der Hoffnung, dass dann die Betriebe mehr Angestellte beschäftigen würden. Dieser Versuch ist aber total fehlgeschlagen, wir haben noch viel mehr Arbeitslose als vorher. Diese Situation ist auch ein Grund, warum unsere beiden Töchter nun wieder in der Schweiz leben. Und die öffentlichen Verkehrsmittel? Zugegeben, wir wohnen schon etwas abseits, doch um in die nächste Stadt, Troyes, zu kommen, muss man erst mal nach Arcis fahren, zehn Kilometer, mit Velo oder Auto, dort fährt dann ein Bus, einer am Morgen und einer am Mittag. Der nächste Bahnhof ist 25 Kilometer entfernt, aber eine gute Linie, Basel–Paris. In unserem Dorf gibt es keinen Laden und auch kein Restaurant, aber eine Kirche haben wir. Der Bäcker kommt alle Tage vorbei mit den frischen Baguetten, der Metzger kommt auch zwei- bis dreimal die Woche. Gemüse und Obst pflanzen die meisten selber an, also ist die Verpflegung kein Problem. Die Schüler werden bis und mit neunter Klasse gratis mit dem Schulbus transportiert. Aber wie kommen die Kids in die Stadt? Natürlich mit den Mamis, mit dem Auto. Oder sie begnügen sich mit den Angeboten, die wir im Dorf haben: Fischen, Tennis, Fussball, Bibliothek. Mir persönlich gefällt das Leben hier etwas abseits der Hektik ganz gut, kein Problem, wenn man sich selber beschäftigen kann. Das wäre nun also ein kleiner Einblick in unser Leben in Frankreich. Wir grüssen alle Leser ganz herzlich.
Maja Fluck
In der nächsten Ausgabe folgt ein Bericht über die Sehenswürdigkeiten der Champagne.