Sie ist fünf und im Kindergarten. Langsam wird aus dem unbeschwerten kleinen Kind ein Mädchen, das eigene Pflichten wahrnimmt und lernt, sich selbständig in der vorläufig kleinen Welt zu bewegen. Die Rede ist von Andrea, unserem Gottenkind im St.Gallischen.
Kürzlich war sie bei uns in den Ferien. Mitten am Vormittag plagt sie ein Hüngerchen. Ob sie eine Banane aus der Früchteschale nehmen dürfe? Aber ja. Sie nimmt die Banane, schält sie – und hält plötzlich inne. Oh nein, die darf sie ja gar nicht essen, die hat zuviel Fruchtzucker, sagt sie. Ich muss ziemlich verdutzt aus der Wäsche gucken. In einem abendlichen Telefongespräch mit der Mutter klärt sich die Sache. Für die Kindergarten-Znüni gibt es eine genaue Liste, was die Kinder mitnehmen und essen dürfen. Damit ihre Zähne gesund bleiben. An sich ja eine gute Sache. So können schon die Kleinen lernen, was gesunde Ernährung ist. Doch wenn ein fünfjähriges Kind mit einer Frucht in der Hand, auf die es Lust hat, von zuviel Fruchtzucker spricht, dann sehe ich viele Fragezeichen – und auch Alarmzeichen.
Der Mutter scheint die Sache auch zu weit zu gehen. Die Kleine darf kein Mineralwasser mitnehmen, sie sollte Hahnenwasser trinken. Das hat sie aber nicht gern, also trinkt sie nichts und kommt dann halb verdurstet nach Hause. Auch unterzieht die Kindergärtnerin die Znünitäschli ihrer kleinen Schützlinge einer peinlich genauen Untersuchung. Ist etwas drin, was nicht auf der ominösen Liste steht, darf es das Kind nicht essen. Nicht nur wird es vor der ganzen Kindergartenklasse bloss gestellt, auch seine Eltern, die ihm das falsche Znüni mitgegeben haben, sind «angeklagt».
Ginge es nicht auch etwas weniger missionarisch?
Dieses Beispiel zeigt mir einmal mehr, wie eine grundsätzlich supergute Idee kaputt gemacht wird von Leuten, die sie mit blindem Eifer sektiererisch vertreten. Ähnliches passiert doch dauernd und auf den verschiedensten Gebieten in unserem Alltag. Einige meinen genau zu wissen, was für andere gut ist, und verfechten das bis zum Geht-nicht-mehr.
Übrigens: grössere Sorge als ein falsches Znüni macht mir im Fall unserer kleinen Andrea, dass mit dieser diktatorischen «Erziehung» zu gesunder Ernährung der Samen gepflanzt werden könnte für die immer häufiger werdenden Essstörungen bei Teenies. Magersucht dank falsch verstandener Zahnprophylaxe im Kindergarten?!
Ursy Trösch