Die diesjährge Erstaugustfeier stand ganz im Zeichen des Jubiläums 125 Jahre Thalheim. Das Dorf wurde vor 125 Jahren von Dorlikon zu Thalheim umbenannt. Bekanntlich hatten damals Spott und Hänseleien die Dorlikoner so geärgert, dass sie es für nicht mehr zumutbar hielten, mit diesem Dorfnamen zu leben.
Der Gemeinderat hat beschlossen, das Jubiläum in einer schlichten Feier zu würdigen. Da er es nicht für sinnvoll hielt, eine rauschende Party durchzuführen, bestimmte er, dass dieser Anlass in die Erstaugustfeier integriert werden soll. «Zusammensitzen, sich gegenseitig fragen: Woher chunsch? was machsch? Wie alt bisch? Und vieles mehr. «Die Einwohner sollen also zusammensitzen und sich gegenseitig kennen lernen, sich mit den nahen und entfernteren Nachbarn unterhalten». So formulierte es Gemeindepräsident Peter Wettstein in der letzten «Dorfposcht». Von einem Festprogramm hatte man abgesehen. Die Idee war gut. Über zweihundert Personen kamen und freuten sich erst einmal am Nachtessen, das von der Gemeinde offeriert wurde. Die Reden von Peter Wettstein und Alt-Nationalrat Konrad Basler wurden von Darbietungen des Gemischten Chores umrahmt, und dann wurde eben mit den Tischnachbarn geplaudert, bis dann gegen 22 Uhr das Feuer angezündet wurde. Ein zauberhaftes Feuerwerk bildete den Höhepunkt des gediegenen Anlasses. Viele sind dann noch zusammengesessen und plauderten, so wie sich das der Gemeinderat vorgestellt hatte.
Ein besonderes Programm war für die Kinder vorbereitet worden. Am Nachmittag hatten sie die Möglichkeit sich von einer Spezialistin die Gesichter bemalen zu lassen (Face Painting) oder am Ballon modellieren teilzunehmen. Um 19 Uhr wurde ein Ballonflug Wettbewerb gestartet.
Die Wurzeln erforscht
In seiner kurzen Rede freute sich der Gemeindepräsident über den guten Besuch. Er erklärte, dass das Jubiläum bloss die Namensänderung betreffe. «Unser Dorf ist natürlich wesentlich älter. Die älteste Urkunde stammt aus dem Jahre 1166. In dreizehn Jahren feiern wir also wieder ein Jubiläum».
«Vor einem halben Jahrhundert hielt ich hier in Thalheim meine erste Erstaugustrede». Konrad Basler sprach diese Worte zu den Einwohnern seiner Heimatgemeinde. «Heute wird es bestimmt meine letzte sein». Der ehemalige Nationalrat erinnerte sich, wie er damals noch Herzklopfen spürte und wie das Programm damals noch patriotischer war. Die Turner zeigten sich in bengalisch beleuchteten Bildern als Kämpfer bei Morgarten oder Sempach. Der Frauen und Töchternchor stimmte das Lied an: «Rufst Du mein Vaterland» und die Schüler, sowohl die Buben und auch Mädchen sangen: «Ich bin ein Schweizer Knabe und hab die Heimat lieb» Er als Festredner würdigte damals das glückliche Überstehen des zweiten Weltkrieges. «Der Schulterschluss unter uns war einmalig».
Basler betonte, dass man damals nur wusste, was die Grosseltern noch sagten. «Heute wissen wir mehr» erklärte er vielsagend. «Das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Dorliker, wie auch der Weinländer überhaupt, kam aus unseren gemeinsamen Wurzeln. Wir dachten und fühlten damals noch alle gleich. Der Ruf, alle für einen – einer für alle, blieb damals unwidersprochen».
In diesen Wurzeln hat der Dorfhistoriker geforscht und viele Zusammenhänge gefunden. Anhand seiner eigenen Ahnengeschichte stellte er interessante verwandtschaftliche Zusammenhänge fest. Diese gelten sicher auch für andere Familien. Die gemeinsamen Wurzeln sind für Basler ein Grund, für den einzigartigen Zusammenhalt der Dorliker, wie auch der Weinländer überhaupt.
Seine Nachforschungen brachten Basler auf die Gedanken, dass, wenn man all die alten Eintragungen, die damals noch von Hand und mit der Feder geschrieben wurden, in Maschinenschrift lesen könnte, die Erforschung der Vergangenheit wesentlich vereinfacht würde.
Zusammen mit dem Computerfachmann Ernst Frei aus Herrliberg – auch er hat seine Wurzeln in Thalheim – befasste er sich mit diesem Problem. Frei hat sämtliche Einträge der Kirchenbücher von 1599 bis 1844 transkribiert und elektronisch erfasst. Dieses Werk ist in zwei Bände ausgedruckt und auf einer CD enthalten. Als Überraschung machten die beiden Verfasser das Werk der Gemeinde zum Geschenk. «Thalheim gehört ab heute zu den am eingehendsten untersuchten Dörfern des deutschen Sprachraumes»
jro
Ernst Basler berichtet über sein erstmaliges Mitwirken an der Erstaugustfeier vor rund sechzig Jahren.
Zu den Höhepunkten des kulturellen Lebens in unserem Dorf mit seinen 450 Einwohnern gehörte die Feier am Abend des 1. August 1940 auf dem Schulhausplatz. Obwohl wir Buben kaum Geld für Feuerwerk hatten, verstanden wir es, unsere pyrotechnischen Leidenschaften zu befriedigen und dies hauptsächlich mit in Petrol getränkten «Kanonenputzern»; das sind Schilfpflanzen mit einem Rohrkolben, der einem Flaschenputzer gleicht. Diese richteten wir zu Fackeln her, und dabei gab es einen, wenn auch inoffiziellen, Wettbewerb über deren Brenndauer.
Nebst dieser wichtigsten Bubensache fand selbstverständlich noch eine offizielle Feier statt. Hierbei wirkten alle Vereine mit, ausser den Schützen: Also Männerchor, Frauen- und Töchterchor, sowie die Turnvereine. Die dorfpolitisch weniger gewichtigen Vereinigungen, wie der Handharmonikaclub oder das Jodelchörli durften ebenfalls auftreten und ernteten bei dieser Gelegenheit die grössten Erfolge während ihres Kalenderjahres.
Höhepunkt und feierlicher Abschluss war die Festansprache. Diese war dem Gemeindepräsidenten, dem Pfarrer, oder seltener, dem Lehrer vorbehalten. Während des Weltkrieges und in den folgenden Jahren war es für einen Festredner leicht Beifall zu ernten; man musste nur auf die «Arglist der Zeit» und die bedrohlichen Wolken am Horizont hinweisen, um dann im zweiten Teil der Rede auf Heimat und Vaterland zu sprechen kommen und diesen Liebe und Treue geloben. Ich weiss, wovon ich spreche, denn bereits ein Jahrzehnt später fiel mir als Zweiundzwanzigjähriger ganz unerwartet die Ehre zu, in Thalheim eine Erstaugustansprache zu halten. In der knappen Vorbereitungszeit liess ich mich von Friedrich Schillers «Wilhelm Tell» inspirieren und machte von seinen einprägsamen Metaphern fleissig Gebrauch. Die Rede schloss mit dem Appell des alten, weisen Freiherrn von Attinghausen an seinen Enkel: «Ans Vaterland, ans teure, schliess dich an. Das halte fest mit deinem ganzen Herzen, Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft.»
Mit einem solchen Abgang konnte man dazumal noch einen tosenden Applaus ernten!
Nun zurück in die fünfte Klasse, in eine Zeit also, in der ich weder träumen noch ahnen konnte, dass ich dereinst selber die Erstaugustrede in meinem Dorf halten sollte. Dennoch glaubte ich, schon am Abend des 1. August 1940 den Höhepunkt meines bisherigen Lebens genossen zu haben. Wenn ich ein Beispiel beizubringen hätte für das Dichterwort: «Froh zu sein bedarf es wenig, und wer froh ist, ist ein König» so müsste ich auf mein erstes offizielles Mitwirken an dieser Augustfeier verweisen.
Krönender Abschluss der Darbietungen des Turnvereins war immer die «Pyramide» mit bengalischer Beleuchtung. Die Turner arrangierten sich drei oder vier Mann hoch, gegenseitig auf den Schultern stehend, zu einem pyramidenförmigen Gebilde. Zuunterst die kräftigsten Männer, dann auf jedem höheren Stockwerk leichtere und kleinere. Der Aufbau geschah bei absoluter Dunkelheit und im Flüsterton. Sobald das Wort «bereit» ertönte, wurde Leuchtpulver entzündet, das durch ein Blech vom Blickfeld der Zuschauer abgeschirmt war. Mit zunehmender Leuchtkraft trat aus der Finsternis nun das (fast) bewegungslose Kunstwerk von weiss gekleideten Turnern hervor. Ein erster Applaus und schon wechselte das bengalische Licht seine Farbe, und die strammstehenden Turner konnten nun auch noch in gelb, blau und rot bestaunt werden. Irgendwann begannen die untersten Helden zu zittern, der Oberturner rief «aus» und mit gut Glück fiel die Pyramide erst dann in sich zusammen, wenn es wieder dunkel wurde.
Für dieses jährlich wiederkehrende Spektakel waren die Turner jeweils auf einen mutigen Buben angewiesen, der, leicht genug, zu oberst auf den Schultern eines Turners sitzend, die Spitze der Pyramide mit zwei seitwärts ausgestreckten Schweizerfähnchen markieren musste. Weshalb dieses Jahr die beiden Basler Buben zu diesem Gipfelerlebnis kommen sollten, habe ich erst später erfahren: Das hatte wenig mit Mut oder Schönheit der Jünglinge zu tun, sondern viel mehr mit der streng beachteten Symmetrie einer Doppelpyramide, welche für diesen besonders feierlichen Anlass eingeübt wurde. Hierzu waren identische Zwillinge bestens zu gebrauchen!
Ernst Basler