Vom Schul- und Zeitgeist in Dorlikons Schulstuben

Den vierten Teil des Vortrags finden Sie in der Ausgabe 57.

Die Lage während des 2. Weltkrieges war so bedrohlich und die Entbehrungen so folgenschwer, dass Lehrer Brenner uns – ich meine die Baslerbüebli – Nachhilfeunterricht erteilen musste, damit wir die Aufnahmeprüfung in die Sekundarschule bestehen konnten. – Doch etwas Gutes, ja Unschätzbares blieb aus dieser Jugendzeit hängen: das stärkende Gefühl des Zusammengehörens. Der Schulterschluss in unserer Bevölkerung begann mit der Landesausstellung 1939. Der Höhenweg, der Schifflibach, das Landidörfli und die Schwebebahn über den See: wir Älteren erinnern uns noch daran; auch an die Heimatfilme der Sektion Haus und Heer. Mangels Saal spannte man vor dem Taufstein in der Kirche ein Leintuch zwischen die Hochsprungstangen und war hingerissen von den Filmen «Landammann Stauffacher» oder «Gilberte de Courgenay» mit Heinrich Gretler und Anne-Marie Blanc als Hauptdarsteller. Nehmt noch die Erstaugust-Feiern der Schüler und Dorfvereine dazu, die Schulreise ins Appenzellerland, wo wir erstmals Berge erlebten, und ihr begreift, dass ein vereinter Wille entstand, der Umklammerung zu trotzen, die uns die Nazis auferlegten.

Das Thema, welches ich für den heutigen festlichen Anlass gewählt habe, ist der Schulgeist, der uns alle prägt. Schulen hatten vor drei Jahrhunderten einen kirchenpolitischen Geist. Der Liberalismus übernahm das Banner in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts. Aber Heimattreue war die Seelenlage zu meiner Jugendzeit. Uns waren die Begriffe «Vaterland» und «Unabhängigkeit» unter die Haut gefahren. Wenn eure Kinder oder Kindeskinder das nächste Schulhaus einweihen werden, so sprechen sie vielleicht vom Geist der Weltoffenheit, der zu Beginn des 21. Jahrhunderts wehte. «Damals», sagen sie dann, «damals, als die digitale Revolution ausbrach und man den Elementarschülern Englisch und Informatik zu lehren begann.»

Es gibt noch einen Grund, warum ich den Schul– und Zeitgeist vor 60 Jahren etwas ausführlicher dargestellt habe. Nun kommt die grossangelegte Studie der unabhängigen Expertenkommission Bergier heraus über «Die Schweiz im Zweiten Weltkrieg». Die Vorberichte lassen erahnen, dass dieser Report ein unvollständiges Bild unseres Landes liefern wird. Ich bin noch ein Zeitzeuge und sage euch: Mindestens hier im Zürcher Weinland gab es nebst vielen Entbehrungen den vereinten Schulterschluss gegen die Nazis, die ennet dem Rhein sangen: «Die Schweiz, das kleine Stachelschwein, das nehmen wir auf dem Heimweg ein.»

Nun schliesse ich mit einigen persönlichen Eindrücken und Überraschungen aus dem Thalheimer Archiv, das die Präsidentin der Primarschulpflege, Frau Jehle, so sorgfältig hütet. Unser Vater war Schulpfleger. Unsere beiden Grossväter Konrad Basler und Heinrich Epprecht waren dies auch. Was für Ämter noch frühere Generationen innehatten, kann ich heute erst für die Basler-Linie sagen: Der Urgrossvater und der Ururgrossvater amteten ebenfalls in unserer Schulpflege zu Dorlikon.

Vor 67 Jahren sassen im fünfköpfigen Gemeinderat wie auch in der fünfköpfigen Schulpflege je zwei Gütighauser und drei Thalheimer. Im Protokoll der Schulpflege vom 24. Oktober 1933 fand ich unter der Rubrik «Verschiedenes» folgende Eintragung: «Kommenden Freitag ist die Bestattungsfeier von Kollege Basler. Gemeinderat und Schulpflege sind bereits übereingekommen, dass die beiden Gemeinderats- und die beiden Schulpflegemitglieder von Thalheim den Verstorbenen zu Grabe tragen.» Unser Vater war also Mitglied beider Behörden!

Er starb an den Spätfolgen einer Scharlach-Halsentzündung. Witwe Martha Basler-Epprecht leistete Tapferes, um ihre Zwillinge durchzubringen. Und diese sahen in ihren Lehrern das fehlende Vorbild des Vaters. Wir schulden den Schulen wirklich vieles. Ohne sie wäre aus uns nicht das geworden, wofür wir heute dankbar sind. Und so erinnern wir uns an der heutigen Weihe für das neue Schulhaus daran, dass dieses nur Herberge dessen sein kann, was schliesslich alles ausmacht: Herberge des Schulgeistes, der darin wirkt.

Konrad Basler

Anm. d. Red.: Dies ist der letzte Teil des Vortrages von Konrad Basler zur Einweihung des neuen Schulhausen in Thalheim.

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