Teil 2 dieser Abhandlung lesen Sie hier.
In Dorlikon, unserem heutigen Thalheim, unterrichtete schon 1610 ein «Rüedj Freyg, Schulmeyster». Und mit wenigen Ausnahmen (s. Anm. 1) hielt über die nächsten zwei Jahrhunderte hin ein Frei die Rute in der Hand.
Damals sollte in Zwinglis reformierten Landen ein jeder in der Bibel lesen dürfen. Wenigstens hatte man in der Lage zu sein, Abschnitte aus dem Katechismus herzusagen. Und werden sie mit Melodien verbunden, so haften die Texte länger. Daher übte man Kirchenlieder. Singen gehörte zur Schule. Das Bildungsziel war Unterricht zu einem gottgefälligen Leben. Dank der Schule kannte jedermann das Vaterunser, endend mit den Worten: «Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.»
Dieses Wissen brauchten unsere Vorfahren von damals. Sie lebten gleichsam in einem geschlossenen, nicht erweiterbaren Raum aus unvermehrbaren Naturgütern. Es gab nur für so viele Kinder einen Platz an der Sonne, sprich Ackerflächen in den Zelgen, wie die Eltern zu ihrem Überleben erhalten hatten. Die Sterblichkeit war unvorstellbar hoch. Das Innenleben dieser Menschen nährte sich am Glauben an den ewigen Frieden. Und welche Zeit auf Erden jedem einzelnen gegeben war, das hielt ein Höherer ohnehin in seiner Hand. Noch vor zehn Generationen lebten die Menschen in einer derart anderen Zeit, dass selbst der Tages- und Jahresablauf anders verstanden wurde als heute. Das Werden und Vergehen lehrten die Jahreszeiten, und ein Tagewerk, ein «Tagwan», war das Mass ihrer Arbeitsleistung.
Das Lebensziel war, die Seligkeit zu erlangen und damit aller Mühsal auf dieser Erde zu entrinnen. Wir dürfen die vorindustrielle Zeit nicht belächeln, weil die Schulabsicht eine Lebenshilfe zum Erreichen der Seligkeit statt eine Grundlage für das Erwerbsleben war. Ja eigentlich müssten wir einen Schritt zurücktreten und die heutige Sinnfrage mit der früheren Auffassung vergleichen. Denn unter diesem – und nur diesem – Blickwinkel lasse ich die oft unbesonnen verwendete Bezeichnung von der «guten alten Zeit» gelten; die Menschen damals kannten den Gedankenfrieden.
Freilich, was man in der Schule übte, war ein Auswendiglernen von Liedern, Psalmen und Sprüchen. Die Schule zu Dorlikon erhielt jedoch 1615 einen Anstoss, als ein auswärtiger Lehrer, Hans Burgstaller, verpflichtet werden konnte. Dessen Unterricht genügte, dass mindestens ein Schüler, es handelt sich um den späteren Rottmeister Basler, sogar schreiben lernte. Hier im Gemeindearchiv von Thalheim liegt von ihm ein dreieinhalb Jahrhunderte altes Schriftstück. Es ist im Buch «Dorlikon an der Grenze des Wachstums» (s. Anhang 2, S. VI) in lesbare Schrift übersetzt.
Was ich am Beispiel von Dorlikon illustriere, gilt für die Landbevölkerung allgemein. Der Zürcher Obrigkeit war es ein Anliegen, dass die Schulmeister in den Landgemeinden ihre Aufgabe als Beruf und auf Lebzeiten ausführten. In Dorlikon begann die zweihundertjährige Schulmeisterdynastie mit Rudolf Frei und Rottmeister Baslers Schwester Anna. Die Schulmeisterei wurde weitergetragen von deren Sohn Konrad Frei und Margaretha Hagenbuch. (Ich kenne diese vier genannten Namen so genau, weil alle zu meinen Vorfahren aus der 10. und der 9. Ahnengeneration gehören.)
Über «Die Schule im Laufe der Jahrhunderte» berichtet uns Reinhard Nägeli in der Chronik über Thalheim von 1978 (s. Anm. 2). Wer immer über das alte Schulwesen zu Dorlikon bzw. Thalheim Wissenswertes sucht, sollte diese ausgezeichnete Arbeit beiziehen. Und was Gütighausen betrifft, gibt es die wertvolle Zusammenfassung von Alfred Vogel (s. Anm. 3).
Anmerkungen
1 Im Anhang 2, S. IVff des Buches «Dorlikon an der Grenze des Wachstums» ist von einer solchen Ausnahme die Rede. – Konrad Basler: Dorlikon an der Grenze des Wachstums. Zur Kulturgeschichte einer Zürcher Dorfschaft im 17. Jahrhundert, Stäfa 1998.
2 Konrad Basler / Reinhard Nägeli: Thalheim an der Thur. Aus der Geschichte einer Gemeinde aus dem Zürcher Weinland. Herausgegeben von der Gemeinde Thalheim an der Thur zur Erinnerung an die Namensänderung vor hundert Jahren, Andelfingen 1978, S. 98ff.
3 Alfred Vogel: Das Schulhaus Gütighausen. Seine Baugeschichte 1879-1979. Herausgegeben vom Organisationskomitee des Gütighauser Schulhausfestes, Heilstätte Ellikon 1979.